„Haben Sie dich also doch kleingekriegt.“ Persönliche Worte zum Rückzug von Tjark Bartels.

Lieber Tjark,

ich kann nur sagen wie leid es mir tut, was man mit Dir gemacht hat. Ich bin wütend, enttäuscht und schäme mich, dass es nicht gelungen ist, Dir besser zur Seite zu stehen. Mein Bild von Dir: Du bist (warst) ein Landrat mit Ecken und Kanten. Nicht alles was du getan oder gesagt hast war gut, aber sehr vieles. Du bist angeeckt, aber vor allem hast Du etwas bewegt. Du warst mutig auch bei unpopulären Themen (Flüchtlinge, Bückeberg) und vor allem offen, transparent und ehrlich. Du hast Dich von Autoritäten (und autoritären Menschen) nicht einschüchtern lassen und bist, und das war aus meiner Sicht ein Baustein für dein Verhängnis, vor der Zeitungschefredaktion hier nicht zu Boden gekrochen. Dafür hat man nach Kräften daran gearbeitet Dich kleinzukriegen. Nicht nur im Fall Lügde.

Dass Dein Körper und Geist dem Trommelfeuer der Hetzer im Internet und der „etablierten“ Hintergrundakteure mit den bekannten Folgen nicht mehr standhalten konnte, ist ein zu akzeptierender Fakt. Dass Du die Reißleine ziehst, ist richtig. Das bist Du Deiner Familie und dir selber schuldig und ist auch typisch für Dich. Konsequent und gradlinig. So mein Bild von dir.

Zur Klarstellung nach außen: Wir waren keine „engen“ Freunde, hatten über die Jahre

nur hin und wieder Kontakt. Über die Gewerkschaft, beim Polizeiball oder zum Thema Umweltschutz. Ich habe persönlich erlebt, wie Tjark Bartels im Konfliktfall bei der Unterbringung der Polizeibeamten in der Linsingenkaserne agiert hat. Habe erlebt, was die DEWEZET (und die sozialen Medien) damals daraus gemacht haben. Ich habe aufmerksam das Agieren aller im Fall Lügde beobachtet und mir selber ein Bild in Ausschusssitzungen gemacht.

Ich kann Tjark Bartels und seiner Familie nur Respekt zollen und Danke sagen für alles, was er in den Jahren für unsern Landkreis zum Guten bewegt hat.

Liebe Weserbergländer,

wir, die wir jetzt hierbleiben, müssen überlegen was wir tun. Zur Tagesordnung übergehen, Schwamm drüber und weiter wie bisher? Den Kopf einziehen und hoffen, dass man nicht der nächste ist?

Wer die Rede von Tjark genau angehört hat, der bemerkt, es geht nicht „nur“ um das Verhalten in den sog. sozialen Medien. Es geht auch um die „etablierte“ Presse, deren Akteure und um das Handeln der Politiker mit lokaler und überregionaler Verantwortung.

Meine Bewertung dazu:

Wir sollten uns jetzt nicht mit der “Hetze“ im Netz und mit dem, was die extremen Facebooktrolle im Internet abliefern ablenken. Es wäre zu leicht nur auf die „Hater“ in den asozialen Netzwerken zu schauen.

Wir brauchen eine Diskussion darüber, was die etablierten Menschen/Medien, und hier insbesondere unsere lokalen Akteure gemacht haben. Für mich hat die Chefredaktion der Dewezet mit einer in der Summe überzogenen Berichterstattung und Emotionalisierungskampagne Schuld auf sich geladen. Sie lieferte mit ihren Schlagzeilen und Trommelfeuermeldungen (und dem Unterlassen einer die Hetzposter begrenzenden Moderation) bei Facebook die Emotionen, den Brennstoff für die Agitation anderer dort. Zur Klarstellung, es war nicht die DEWEZET alleine, aber die DEWEZET ist hier unsere Heimatzeitung und was hier vor Ort gemacht wurde, war noch eine andere Klasse als das, was die anderen Medien taten. Siehe #dewezetkorrektiv .

Aber auch das ist nur ein Teil des Problems. Es gab fast keinen (oder nur sehr wenig) Widerspruch. Gerade die gesellschaftlich relevanten Akteure blieben stumm. In den „sozialen Medien“ wie auch gegenüber der DEWEZET. Es überwog wohl die Angst, der Nächste zu sein, der in den Negativfokus der Zeitung gerät. Der Opfer und den Zersetzungstrollen im Internet ausgeliefert wird.

Jeder sollte sich selbstkritisch fragen, was er gemacht, zumindest versucht hat. Wenn WIR hier, schon in der jetzigen Situation, jetzt, wo es hier noch weitgehend ungefährlich ist, keine Traute haben, uns vor Zivilcourage drücken, was wollen wir den „vernünftigen“ Menschen in Ostdeutschland vorwerfen?

Ich bin traurig, vor allem aber mache ich mir massiv Sorgen. Wir hatten diese Entwicklung schon einmal, in der Weimarer Republik. Wohin diese Emotionalisierung, das Zersetzen von Vertrauen in Institutionen, das Polarisieren um der Schlagzeile willen führt, das müsste aus dem Geschichtsunterricht noch jeder wissen.

Ansonsten schaut einfach in die aktuellen Nachrichten. Nach England, den USA oder nach Italien und Österreich. Jeder leistet seinen eigenen Microbeitrag, zum Guten wie zum Schlechten.

Mir ist klar, ich mache mir hier keine Freunde. So übernehme ich denn, wie damals im Umweltschutz auch, für die Empfindsamen, die Nachdenkenden, die, denen nicht alles scheißegal ist, die Rolle des „schlechten Gewissen-Machers“. Sorry, ich kann nicht anders.

Ralf Hermes, 11.10.2019 (mehrfach überarbeitet am 12.10.2019)

Text als PDF:

6 Gedanken zu „„Haben Sie dich also doch kleingekriegt.“ Persönliche Worte zum Rückzug von Tjark Bartels.“

  1. Sehr geehrter Herr Hermes,
    Nach dem gestrigen Tag haben mir ihre Zeilen gut getan.
    Sie haben meine Empfindungen in Worte gefasst.
    Auch mir geht die Meinungsmache von einigen Wenigen auf die Nerven.
    Aus Veranstaltungen und Sitzungen wird nur berichtet, wenn es “ skandalös“ ist. Abgeordnete werden interviewt, wenn sie provozieren. Eine normale,ausgewogene Meinung ist nicht gefragt.
    Zu langweilig.
    Danke für ihre Offenheit!!

  2. Vielleicht noch als Ergänzung: Der Brief hat zwei Inhaltsteile: Natürlich kann man die Person des Landrates bwz. seine Leistungen auch ganz anders bewerten. Dafür gibt es dem politischen Streit und das Ringen um bessere Wege. Kein Problem. Wichtig ist mir die Sensibilisierung, was unsere Medien – und damit meine die proffessionellen lokalen Akteure DEWEZET, Radio Aktiv und die Anzeigenblätter sofern sie redaktionell eigenständige Artikel schreiben tun. Wer „vierte Gewalt“ im Staate sein will, der hat für mich neben dem unbestreitbar notwendigen kommerziellen Interesse Leitplanken einzuhalten, sonst disqualifiziert er sich als Partner einer freiheitlichen Demokratie. Ich habe das am konkreten Fall der DEWEZT am 12. Mail einen längern Beitrag mit dem Fazit: „Meine Bewertung aber steht und ist extrem beunruhigend: Was muss eigentlich noch passieren, bis erkannt wird, wie die DEWEZET im Kern die Rechtspopulisten großschreibt? Hier ist Zivilcourage und Widerspruch gegen den Stil unserer Zeitung im Fall Lügde gefordert. Die fortwährende und meines Erachtens in der Dimension und im Stil ungerechtfertigte Zerrüttung des Vertrauen in staatliches Verwaltungshandeln ist leider auch nur ein Aspekt im Handeln der Zeitung aus meiner Sicht.
    Der Rechtsruck und die Polarisierung in unserer Gesellschaft fällt nicht vom Himmel, sondern wird durch unseriöses Medienhandeln, was nichts mehr mit Pressefreiheit oder verantwortungsvollen Journalismus zu tun hat, begünstigt.“ geschrieben. Siehe http://hamelnerbote.de/?p=3307#more-3307 Das war sehr zugespitzt und polarisierend formuliert. Der Versuch, wachzurütteln ist damals aber gescheitert.

    1. Ich bewerte die Leistungen des ehem. Landrat Bartels ganz anders. Nicht für die Menschen und ihre Probleme sondern nur die eigene Meinung zugelassen. Ich wünsche Herrn Bartels alles Gute und uns allen einen neuen Landrat/In wie Herr Butte es war !!

  3. Aufgabe der Presse ist es, die Fragen zu stellen, die sonst niemand stellt. Aufgabe der Presse ist es auch, die Antworten auf eben diese Fragen zu veröffentlichen. Dies gilt im Besonderen auch dann, wenn die Antworten bei Verwaltung, Politik und Gesellschaft gerade nicht willkommen sind. Hofberichterstattung ist gerade bei schwierigen Themen nicht angezeigt.

    Aufgabe des Gesetzgebers und der Justiz ist es, die Bürger dieses Landes vor übler Nachrede und Verleumdungen durch Menschen, die ihre Hass-Rhetorik und ihr Vokabular von Schimpfwörtern für eine Meinung halten, zu schützen. Die Krankheit Tjark Bartels, aber auch der Fall Renate Künast zeigen, dass Gesetzgeber und Justiz hier noch eine Menge Arbeit zu leisten haben.

    Meine Aufgabe ist es jetzt Tjark Bartels für seine Arbeit als Landrat zu danken. Es ist zu kurz gesprungen Tjark Bartels auf den Fall Lügde zu reduzieren. Ich denke persönlich vor allem an die Zeit der Flüchtlingswelle, als Tjrak Bartels an der Seite von uns ehrenamtlichen Freiwilligen stand um das „wir schaffen das“ der Kanzlerin in unserem Landkreis Realität werden zu lassen. Hier war Tjark Bartel mit seiner Standhaftigkeit und Tatkraft ein Vorbild für uns alle.

    Danke Tjark … mache es gut und vor allem werde wieder gesund.

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