Über die Zukunft des Rattenfängerrilief am Bürgergarten wird in der Ratssitzung am 16.12.2020 beraten. Der Vorschlag der Verwaltung lautet, dass der Rat die Bereitstellung von Haushaltsmitteln in Höhe von 88.000 Euro beschließen möge. Die Denkmalschutzwürdigkeit des Reliefs ist aufgehoben. ein Abriss rechtlich möglich. Es gibt aus Sicherheitsgründen einen hohen Handlungsbedarf. Die Sperrung des Haupteingangs des Bürgergartens aus Verkehrssicherungsgründen droht.
Die Hintergrundinformationen:
Informationen aus der Verwaltungsvorlage:
Zur Geschichte des Reliefs:
Die Stadt Hameln beauftragte 1957 Prof. Hans Walther alias Walther Ihle (1888–1961) aus Erfurt mit der künstlerischen Ausgestaltung der Fassade an der Aula der ehemaligen Frauenfachschule (heutige Elisabeth-Selbert-Schule) am Münsterwall. Er erhielt den Auftrag im Rahmen des Programms „Kunst am Bau“. Unter dem Pseudonym Ihle entwarf er das Relief als Beitrag zur 675-Jahr-Feier der Rattenfängersage. Trotz der Teilung Deutschlands durfte er damals den westdeutschen Auftrag annehmen.
Das 1960 eingeweihte Relief ist mit ca. 8 Metern Höhe und ca. 13 Metern Breite das größte Kunst-werk im öffentlichen Raum in Hameln. Walther interpretiert die Rattenfängersage mit Gegenwartsbezügen und greift typisch für sein künstlerisches Schaffen die Folgen von Krieg und Vertreibung auf. Symbolisch wird der Zug der Kinder nach Mähren dargestellt. Ein Zug bewegt sich nach Osten, der andere – sinnbildlich für die Flüchtlinge des Zweiten Weltkriegs – kehrt wieder in die Stadt zurück. Das Rattenfängerrelief ist Walthers letztes großes Werk.
Beim Abriss der Aula der Elisabeth-Selbert-Schule 1983 konnte das originale Terracotta-Relief nicht erhalten werden. Die Fachfirma Ochsenfarth Restaurierungen, Paderborn fertigte Doubletten aus Kunststeinmaterial („kunstharzgebundener gefärbter Beton“) an. Die Reliefteile wurden danach unsachgemäß behandelt, beschädigt und mehrfach umgelagert.
Der Landkreis Hameln-Pyrmont – seit 1968 als Schulträger Besitzer des Reliefs – übergab das Reli-ef der Stadt Hameln mit der Auflage, einen neuen Platz zu finden. Nach einem längeren Beratungsprozess wurde als neuer Standort der Eingang zum Bürgergarten gewählt (s. Beschluss 226/90/1).
Seit 1991 wurde das Relief weder restauriert noch instandgesetzt.
Rechtslage:
Es besteht die gesetzliche Erhaltungspflicht durch die Aufstellung im öffentlichen Raum (UrHG § 14 Entstellung des Werkes), welches dem Künstler und seinen Erben (bis 70 Jahre nach seinem Tod) einen Anspruch auf Erhaltung bzw. Unversehrtheit seines Werks garantiert.
Im September 2020 entschied das Niedersächsische Landesdenkmalamt, das Rattenfängerrelief nicht länger auf der Denkmalliste zu führen. Aufgrund der Kopie und nicht mehr erhaltenen Originalsubstanz entfällt der bisherige denkmalwert. Damit besteht keine Erhaltungspflicht nach dem Denkmalschutzgesetz und die Beantragung von Fördergeldern im Rahmen der Denkmalpflege ist nicht möglich.
Sachstand 2020:
Im Juni 2020 musste ein Teil des Eingangs zum Bürgergarten aus Verkehrssicherungsgründen gesperrt werden, weil sich Teile aus dem Relief und dem Putz lösten. Durch feine Risse in der Reliefoberfläche ist Wasser in das Kunststeingefüge gelangt. Dadurch entstanden Frostschäden, die dazu führten, dass ganze Kunststeinpartien abgedrückt werden und herabfallen. Aufgrund der Verkehrssicherungspflicht wurde der Eingang teilweise gesperrt. Zurzeit wird eine weitere Sicherung durch ein feinmaschiges Netz vorbereitet, welches das Relief umhüllen wird. Dies verhindert jedoch nicht das Fortschreiten der weiteren Verwitterung und gibt nur einen Zeitaufschub.
Im September 2020 entschied das Niedersächsische Landesdenkmalamt, das Rattenfängerrelief nicht länger auf der Denkmalliste zu führen. Aufgrund der Kopie und nicht mehr erhaltenen Originalsubstanz entfällt der bisherige denkmalwert.
Einschätzung der Verwaltung:
Gleichwohl ist der künstlerische Umgang mit der Rattenfängersage für Hameln von hoher Bedeutung: Das Relief hat aufgrund der ungewöhnlichen Darstellung der Sage eine besondere Bedeutung. Kulturhistorisch ist vor allem die Entstehungsgeschichte hervorzuheben. Ende der 1950er Jahre gab es fast keinen Kulturaustausch zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Dieses Kunstwerk stellt damit ein seltenes Beispiel dar.
Sanierungsoptionen / Kosten:
Um eine grobe Kosteneinschätzung für eine Sanierung zu erhalten, wurde im Juli 2020 ein Erstgut-achten zum Zustand und der zu erwartenden Kosten für die Restaurierung beauftragt. Das Gutachten von MIB & ZMK beläuft sich auf eine Kostenschätzung von 88.000 € brutto, die vor Ort erfolgen kann. „Um weiteren Substanzverlust zu vermeiden, müssen die Instandsetzung und die Restaurierung zum schnellstmöglichen Zeitpunkt durchgeführt werden. Die Dringlichkeit der Maßnahme ist hoch. Bei einer Verzögerung ist schon jetzt abzusehen, dass der Eingang zum Bürgergarten aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht komplett gesperrt werden müsste.“
Aufgrund der oben erwähnten Aufhebung des Denkmalschutzes wurden Alternativen geprüft. Bis zum Ablauf des Urheberrechtes würde eine fachgerechte Demontage und sachgerechte Einlagerung mindestens 12.000 € brutto kosten. Dazu käme noch die Suche nach einem geeigneten Einlagerungsort und Kosten für Lagermiete, Schwerlastregal etc.. Gleichzeitig müsste die Toranlage rück-gebaut werden und Altfundamente durch einen Tiefbauer abgerissen werden (geschätzt Kosten von ca. 9.500 € bis 12.000 € brutto). Außerdem ist dann die Neugestaltung des Südeingangs zum Bürgergarten erforderlich. Aufgrund des Ensembleschutzes des Bürgergarteneingangs mit den beiden Pavillons spielen dann wieder denkmalpflegerische Aspekte eine Rolle.
Grob geschätzte Kosten für eine neue Toranlage belaufen sich in Abhängigkeit des Aufwands zwischen 12.000 € bis 30.000 € brutto.
Eine weitere Untersuchung im Oktober durch den Diplom-Restaurator des Büros für historische Bautechnik und Baustoffe, Paderborn ergab ebenfalls eine Vorortsanierung und eine grobe Kosteneinschätzung von 59.500 € brutto.
Die Sanierungskosten lassen sich somit zwischen 66.000 und 88.000 € beziffern.
Entscheidungsvorschlag der Verwaltung:
Vor dem Hintergrund, dass bereits das Original von Hans Walther verloren ist und eine Demontage und Einlagerung der Konstruktion sowie die Neuerrichtung einer Ersatztoranlage Kosten in ähnlicher Höhe wie eine Sanierung verursachen würde, wird seitens der Verwaltung die Restaurierung des Reliefs empfohlen.
Der Aufwand im Dokumentationsverfahren bei der Begutachtung der einzelnen Figuren des Reliefs im Restaurierungsprozess verändert sich durch die Aufhebung des Denkmalschutzes. Daher könnte es sein, dass sich die im Haushalt veranschlagten Kosten in Höhe von 88.000 € reduzieren lassen. Dies lässt sich jedoch erst im weiteren Verlauf beurteilen.
Beschlussvorlage als PDF:
Siehe auch:
Das Rattenfänger-Relief am Bürgergarten bröckelt.
herral, 28.11.2020
Mal ganz subjektiv:
Dieses Konstrukt finde ich schon immer echt gruselig. Der Bügel ist scheußlich und erinnert an ein misslungenes Denkmal zu Sowjetzeiten. Das Relief braucht eigentlich Fläche drumrum, es ist ja auch aus seinem ursprünglichen Kontext an einer Fassade gerissen. Dann noch das 08/15-Tor darunter, schauderhaft. Für das Relief wünsche im mir einen würdigen Ort, z.B. das neue Bildungszentrum Linsingen-Kaserne, auch indor, was den Sanierungsaufwand reduziert. Somit wäre es wieder mit einer Schule vereint
(ich höre jetzt schon die Architekten seufzen). Für den Bürgergarten-Eingang flankierend zwei Pyramiden-Eichen oder zwei Linden, passend zur Deisterallee, und ein hübsches Tor.
Das Rattenfängerrelief von Hans Walter ist unbedingt erhaltenswert. Es bringt in mehreren eindrucksvollen Szenen den Auszug der Kinder 1284 mit Flucht und Vertreibung nach dem von Deutschland herbeigeführten Zweiten Weltkrieg in Verbindung.
Nachdem die ebenfalls von Hans Walther (1931) geschaffene wertvolle Rattenfängerfigur wegen der „Erlebniswelt Renaissance“ aus dem Eingangsbereich des Hochzeitshauses entfernt und seitdem schwer beschädigt im Museumsdepot liegt, wäre ein weiterer Verlust nicht zu ertragen.
Die Aufstellung an einem anderen Standort, wie Thomas Hülsen sie vorschlägt, ist zu überlegen. Am Bürgergarten steht das Relief wenig glücklich.
Für eine „Umsiedelung“ des Reliefs müsste es vor einer Handlung ein klares Konzept geben.
Was in Hameln erstmal eingelagert ist, nach dem Motto: “ dann schauen wir mal beizeiten“, hat in dieser Stadt nahezu immer zu schweren Verlusten an Kulturgütern geführt.