Eine (andere) Reflexion zum Buch 40 Jahre „Schlacht um Grohnde“ 1977 – 2017

Verlag Jörg Mitzkat, Texte und Bilder zusammengestellt von Bernhard Gelderblom

Über die Gewalt am Bauzaun Grohnde vor 40 Jahren und die persönlichen Gedanken dazu heute.

Vorbemerkung:

So sehr ich das Buch von Herrn Gelderblom unterstütze, so wenig teile ich die Aussagen von Herrn Seidl in seiner Reflexion am Ende des Buches (ab Seite 226). Ich möchte dazu mit diesen Zeilen eine anderes Fazit als Gegenposition zur Diskussion anbieten.

Kernaussage / Fazit:

Das Handeln der gewalttätigen Atomkraftgegner am Bauzaun im Rahmen der sog. „Schlacht“ um Grohnde hat den Zielen der Anti-AKW Bewegung in der Region und insgesamt schwer geschadet. Die „Wende“ im Atomstreit brachten nicht alleine die Katastrophen von Tschernobyl oder Fukushima, sondern insbesondere die unermüdliche, einfallsreiche, oft unspektakuläre, aber insbesondere friedliche und fachliche Aufklärungsarbeit der verschiedenen Verbände, Gruppen und Bürgerinitiativen, die über Jahrzehnte die Akzeptanz für den Atomausstieg schufen. Das Abschalten der Atomkraftwerke in Deutschland erfolgte trotz, nicht wegen der militanten Aktionen

Begründung:

Gewalt ist von Übel! Sie erzeugt Gegengewalt und endet als Spirale im Chaos. Es gibt dafür tausende Beispiele in der Geschichte.

Die Grundmechanismen der Eskalation sind immer dieselben.

Gewalt ist von Übel! Sie erzeugt Gegengewalt und endet als Spirale im Chaos. Es gibt dafür tausende Beispiele in der Geschichte.

Gewalt lenkt vom Thema ab. Gesellschaftlich ist bei uns Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele geächtet. Unabhängig vom Ziel führt dieses zur Kriminalisierung der Akteure und zur Ablenkung vom eigentlichen Thema. Das traurige aktuelle Beispiel sind die Ausschreitungen anlässlich des G 20 Gipfels in Hamburg. Hier überdeckt das Handeln der Gewalttäter alle Ziele und Themen der zu Recht Protestierenden und entwertet die friedlichen Protestformen. Hier sind Parallelen zur „Schlacht“ um das AKW Grohnde unmittelbar zu sehen.

Es gibt alternative Protestformen, die friedlich und erfolgreich sind. Gandhi ist hier nur ein großes Beispiel. Unmittelbar aber ist der Fall der Mauer/Teilung Deutschlands Folge ausschließlich friedlicher Protestformen. Die Wiedervereinigung wäre blutig gescheitert, wenn es gewalttätige Ausschreitungen der Bürger gegen den SED-Staat gegeben hätte.

Als konkretes Gegenmodell der Protestform sei die bunte, friedliche und sehr positive Protestkultur der Gegenwart mit den Demonstrationen am Kernkraftwerk Grohnde genannt, die in den Zeittafeln des Buches (1985 bis 2021) mit den Kerndaten und einigen Bildern genannt werden. Hier hat die BUND Kreisgruppe Hameln-Pyrmont aktiv und vielfältig das Anti-Atom-Plenum Weserbergland unterstützt. Eine ausführliche Dokumentation der verschiedenen Aktionen findet Mann/Frau auf der Internetseite des Hamelner BUND im Archiv unter: http://archiv.bund-hameln-pyrmont.net/themen_und_projekte/atomkraft/

Unzählige ähnliche Protestformen hat es auch in den 1977er Jahren gegeben. Alle aber wurden entwertet durch die Bilder der Gewalt der „Schlacht“ vom 19.03.1977, die so prägend war, dass sie auch den Titel des Buches bildet, obwohl es eigentlich eine Dokumentation des Wiederstandes gegen das AKW ist.

Die Gewaltereignisse und -bilder lieferten die „Munition“ für die Atomkraftwerksbefürworter die guten sachlichen Argumente der Anti-Akw-Bewegung wirksam zu diskreditieren bzw. davon abzulenken.

Zur Rolle der Polizei:

Das Handeln der Polizei muss heute genau wie das Agieren der Protestbewegung im Licht der Zeit damals gesehen werden. Die Polizei im Jahre 2017 ist eine andere als 1977. Moderner, kommunikativer, deeskalierender.

Auch innerhalb der Polizei wurden Zeitzeugengespräche mit damals betroffenen Kolleginnen und Kollegen geführt. Diese Menschen sind heute noch schwer betroffen ob der Gewalt gegen sie. Vor und hinter dem Bauzaun des AKW haben Menschen in Uniform gestanden, die von den Gewalttätern in den Reihen der Demonstranten massiv persönlich angegriffen wurden. Herr Gelderblom hat dieser Sichtweise durch den Bericht eines Gruppenführers einer Hundertschaft der Polizei aus Hannover (ab Seite 100) dargestellt. 

Die Polizei stellt sich ihrer Geschichte. Herr Gelderblom bekam für seine Recherchen umfassende Unterstützung sowohl vor Ort, wie auch durch die Polizeiakademie Niedersachsen und das dort angegliederte Polizeimuseum. Die Ausstellung war sogar für 11 Wochen in den Räumlichkeiten des Polizeimuseums in Nienburg zu sehen.

Gewerkschaftlich organisierten wir als GdP eine Podiumsdiskussion zum Thema Gewaltlegitimation beim Lokalsender Radio Aktiv. Ausdrücklich waren Atomkraftgegner eingeladen und sind auch erschienen. Die Berichterstattung der DEWEZET hatte zwar die Schlagzeile mit dem Vorwurf der Gewaltverherrlichung, aus dem Bericht ergibt sich aber eindeutig, dass es sich bei diesem Vorwurf um eine Einzelmeinung handelt und der Abend eine interessante und vielschichtige Diskussion brachte. Der Artikel ist unter https://www.dewezet.de/region/hameln_artikel,-verherrlicht-diese-ausstellung-die-gewalt-_arid,2360848.html aufzurufen. Ein weiterer Verlaufsbericht ist eingestellt unter:  https://www.gdp.de/gdp/gdpnds.nsf/id/20170329_KG_HM_Diskussionsrunde_Gewaltlegitimation_Bericht_topic?open&ccm=

aufzurufen. Ein weiterer Verlaufsbericht ist eingestellt unter:  https://www.gdp.de/gdp/gdpnds.nsf/id/20170329_KG_HM_Diskussionsrunde_Gewaltlegitimation_Bericht_topic?open&ccm=

Eine ausführliche Bewertung der Ereignisse aus gewerkschaftlicher Sicht lässt sich in der Titelausgabe der GdP Zeitung „Deutsche Polizei“, Ausgabe  September 2017 nachlesen. Download unter: https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/C2C5A0DA3966A637C125817F001E07F8/$file/DP_2017_09.pdf. Auch hier wurde Bernhard Gelderblom einbezogen und bekommt mit seinen Einschätzungen Raum zur Darstellung.

Kritik an der Buchreflexion ab Seite 226:

Wenn Herr Seidl zu Beginn seiner Reflexion schreibt, dass sich derjenige, der sich genauer mit dem Geschehen der „Schlacht“ um Grohnde befasst, „verdächtig macht“, so ist das Gegenteil der Fall. Herr Gelderblom hatte bei seiner Arbeit offene Türen bei der „Staatsgewalt“. Sowohl der Landrat, der Polizeiinspektionleiter wie auch der Polizeipräsident der PD Göttingen waren nach meinem eigenen Erleben aufgeschlossen und kooperativ. 

Es folgen dann im Kern Sympathiebekundungen und Rechtfertigung der Gewalttäter von Grohnde und Beschreibungen des Bildes eines autoritären Staates. Auf die ausgeübte Gewalt gegen Polizisten geht Herr Seidl nicht ein, sondern reduziert das Gewalthandeln der unfriedlichen Täter auf eine symbolische Sachbeschädigung am monströsen Zaun. Sehr deutlich wird in vielen weiteren Sätzen das Feindbild Polizei des Autors, der zum Ende noch von aufgehetzten Hundertschaften schreibt, die eine Heldentat darin sahen, die Menschen niederzureiten.

Es ist schade, dass er seinen Beitrag mit dem Anspruch einer Reflektion veröffentlicht, ohne nach 40 Jahren auch selbstkritisch prüfendendes Nachdenken erkennen zu lassen.

Aus eigenem Handeln kenne ich den Frust und die Enttäuschungen mit den von mir als richtig empfundenen Positionen in dem Mehrheitssystem unserer Demokratie nicht oder nur sehr, sehr langsam durchzudringen.  Eine Alternative zum demokratischen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung und dem Grundsatz der Mehrheitsentscheidungen einer repräsentativen Demokratie sehe ich nicht. Unser Staat gewährleistet ein friedliches Zusammenleben der Bürger, und dazu liegt das Gewaltmonopol beim Staat. Den Bürgern steht bei Streitigkeiten der Rechtsweg über die Gerichte offen.

Bei allen Schwächen der Staatstheorie ist diese Gesellschaftsordnung ein deutliches Gegenmodell zu autoritären/totalitären Staaten. Die Nachrichten zeigen uns eigentlich täglich, dass die Mehrheit der Systeme anderer Staaten wesentlich schlechter ist.

Danke an Bernhard Gelderblom:

Trotz der Kritik an der Reflexion am Ende, das Buch „40 Jahre Schlacht um Grohnde“ von Bernhard Gelderblom ist (auch für Polizeibeamte) lesenswert. Es gelingt dem Autor Sachverhalte einzuordnen und trotz klarer eigener Position durch Distanz Fairness für die jeweiligen „Gegenpositionen“ zu bewahren. Die Einblicke in die Gedankenwelt der Menschen durch die persönlichen Zeitzeugenschilderungen macht betroffen und nachdenklich. Nicht alles muss einem gefallen, in Gänze aber ist das Buch ein beeindruckendes Zeitdokument und vermittelt gerade auch durch die Kombination der Texte mit den vielen Bildern und Grafiken einen sehr nahen Einblick in das Geschehen damals.

Allen Akw-Gegnern oder engagierten Menschen, auch in anderen Themengebieten, sei es aber auch eine Mahnung: Die Gewalt, die, so Gelderblom, im Buch in ihrer ganzen Hässlichkeit gezeigt wird, lenkte letztendlich nur vom Thema ab und ergab Zwänge für Diskussionen/Abgrenzungen, die viel Kraft forderten, dem Ringen um eine Verhinderung der Atomkraftwerke in Deutschland aber nichts brachte.

Dem Autor Bernhard Gelderblom gebührt unser Dank für seine Arbeit.

Ralf Hermes

Ralf Hermes, erstellt am 07.01.2017 / geringfügig überarbeitet am 3.11.2019

Nachbemerkung:

Ich bin kein Zeitzeuge der „Schlacht“ um Grohnde vor Ort. Am 19.03.1977 besuchte ich mit 14 Jahren die Realschule in Osnabrück.

Ich bin Atomkraftgegner, engagierte mich fast 30 Jahre in der Kreisgruppe des BUND Hameln-Pyrmont, mehr als 20 Jahre als Vorsitzender.

Ich bin aber auch Polizeibeamter und Vorsitzender in der Gewerkschaft der Polizei, Bezirksgruppe Göttingen. Durch den Beruf habe ich unmittelbare Einblicke und Erfahrungen zur Rolle der Polizei und zum Handeln der Menschen in Uniform.

„Zukunft braucht Herkunft“, d.h. Geschichtsforschung hat den Zweck, aus den Erfahrungen der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Wichtig ist daher nicht nur die Dokumentation des Geschehens damals, sondern auch die „Reflektion“ aus heutiger Sicht.

Ralf Hermes GdP

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