In der Osterstraße Nr. 8 befindet sich ein 1558 fertiggestellte Fachwerkhaus, welches damals der Hamelner Kaufmann und Bürgermeister Friedrich Poppendiek erstellen ließ. Ab August 2020 ist die renovierte Fassade mit dem reichen Bilderschmuck wieder sichtbar. Fotos und Informationen zum Haus hier:
Zum Haus: Benannt wurde das Gebäude nach seiner bildreichen Fassade als Stiftsherrenhaus. Der Bilderschmuck zeigt biblische Motive und in der Traufe auch antike Planetengötter.
Zur Bedeutung der einzelnen Schnitzwerke (Deutungen nach nach Rothert, einen Stiftsmönch, teilweise in späteren Zeiten korrigiert) ist folgendes bekannt:
Unterste Reihe von links nach rechts:
Apostel Petrus bejahrt, mit starker Tonsur (richtig muss es wohl Bart heißen), einen Schlüssel (Himmelsschlüssel) in der Hand.
Andreas mit dem schrägen Balkenkreuz
Der Bauherr als Junker mit Barett und Schwert.
Kaiser Justinan, der Schöpfer des „Corpus juris“
Gott Vater ruht mit seinem Schöpfungswerke, die Weltkugel mit dem Kreuze, in der Rechten haltend.
Der Apostel Paulus
Philippus mit dem Kreuzstabe, durch dessen Vorhalten die Götzen umstürzten.
Bartholomäus mit dem Messer und seiner abgeschundenen Haut, die er als Mantel umgeschlagen hat.
Matthäus mit der Hellebade
Abraham opfert seinen Sohn Isaak auf dem Holzstoße, ein Engel winkt ihm abwehrend zu und deutet auf einen Widder hin.
Die mittlere Reihe von links nach rechts
Erste Deutung: Der heilige Nikolaus droht mit erhobener Hand (nämlich einem Henker, welcher eben im Begriff stand, drei unschuldige Bürger zu enthaupten, aber durch des hl. Nikolaus Drohung, ihn beim Kaiser zu verklagen, erschreckt, sie sämtlich freiließ).
Der heilige Bonifacius (Anmerkung richtig ist wohl Apostel Jacobud -die Muschel) zieht aus, den Heiden das Evangelium zu predigen, in der Linken die Bibel, in der Rechten das Schwert.
Der heilige Bonifacius (kenntlich an der Bischofsbinde des 8. Jahrhunderts) tauft einen vor ihm knieenden Heiden. (Richtig ist wohl „Samuel, der David zum König salbt.“ als andere Auslegung.)
Kain erschlägt seinen Bruder Abel mit einem Holzscheite, neben ihm flammt das Opferfeuer von Abels Altar gen Himmel.
Simson zerreißt den Löwen. (In der Ecke ist das Wahrzeichen Simons, der Eselskinnbacken).
Christus steht siegreich auf, in der Rechten das Kreuz haltend, die Grabeswächter fahren erschrocken zurück.
David zieht im Festreigenschritt vor der Bundeslade in Jerusalem ein, die Krone auf dem Haupte, mit den Händen die Harfe spielend.
Joab umarmt den Abner und ersticht ihn dabei verräterisch.
Simon mit der Säge.
Judas Thaddeus mit der Keule
David und Goliath; letzter ist mit einem breiten Schwerte umgürtet, mit der Rechten hält er einen (am Schaft abgebrochenen) Spieß. (?)
Die oberste Reihe von links nach rechts:
Die Darstellung zeigt die Caritas als Sinnbild der barmherzigen Liebe. Die Frau ist reich gewandet mit langem Faltenrock, langen, en anliegenden Ärmeln und großen Schulterkragen. Die drei Kinder sind unbekleidet. Eins sitzt auf dem rechten Arm und umarmt die Mutter; eins hockt auf ihrer linken Schulter und wagt vom hohen Sitz einen blick zur Seite. Das dritte Kind steht unten, ist aber in die Gruppe mit einbezogen, da die linke Hand der mutter sein Köpfchen umfaßt, während das Kind ihr einen Apfel emporreicht. So beschreibt es Dr. A. Ostermeyer in einem DEWEZET Beitrag vom 30. März 1963. Die Figur stellt eine christliche oder weltliche Tugend dar. Die christliche Liebe.
Eine andere Deutung nach Rothert beschreibt das Bild als die heilige Anna (die Mutter der Maria) matronenhaft, mit Maria und Jesus auf dem Arm.
Darstellung der Judith mit dem Haupt des Holofernes
Aktuelle Deutung: Mondgöttin Luna mit dem Sternbild des Krebses. Vorherige Deutung: Mariä Himmelfahrt. In der Rechten hält sie ein Zepter, in der Linken einen Halbmond, das Sinnbild der Jungfräulichkeit.
Aktuelle Deutung: Merkur mit der Fackel. Vorherige Deutung: Gideon bricht ein in das Lager der Midianiter, in der Rechten eine Fackel, in der Linken eine Posaune haltend.
Aktuelle Deutung: Saturn mit dem Stelzfuß. Vorherige Deutung: Christopherus hält das Christuskind über einen Fluß.
Aktuelle Deutung: Venus mir Waage uns Stier. Vorherige Deutung: Ein Kundschafter trägt eine Lanze eine Traube, seine Linke hält einen Granatapfel in die Höhe.
Aktuelle Deutung: Sol, der Sonnengott mit dem Sternbild des Löwen. Vorherige Deutung: Diese Bildnis zeigt den deutschen Kaiser:
Aktuelle Deutung: Kriegsgott Mars mit Widder. Vorherige Deutung: Der Bischof Albanus (Nachfolger des Bonifacius in Mainz) tritt aus der streitenden in die siegreiche Kirche ein. Zu seinem Füßen ruht ein Löwe, auf seinem Haupte sieht man eine Märtyrerkrone, in seiner Rechten einen Zepter, in der Linken trägt er seinen eigenen Kopf, den ihn angeblich die Hunnen zu Mainz abgeschlagen haben.
Aktuelle Deutung: Jupiter mit eiserner Rüstung. Vorherige Deutung: Nimrod als Jäger und Krieger, den Bogen in der Rechten, das Schwert in der Linken.
Der Baumeister des Hauses trinkt nach Vollendung des ganzen Baues aus einem Festpokale den Richttrunk, darunter die Jahreszahl 1558.
Seit 1975 befindet sich im Erdgeschoss das Museumscafe. Die darüber befindlichen Räumlichkeiten werden durch das Museum Hameln genutzt.
Das Gebäude befindet sich im Besitz der Stadt Hameln. Die aktuelle Fassadensanierung hat 112.000 Euro gekostet. Stadt, Bund und Land tragen die Kosten zu jeweils 1/3.
Zur Geschichte des Hause habe ich im DEWEZET-Archiv folgendes herausgefunden:
DEWEZET vom 26.11.1949: „Es war der stille Schmerz aller ihre Heimatstadt liebenden Hamelenser, daß das Stiftsherrenhaus in der Osterstraße einen geradezu verwahrlosten Anblick bot. … Um so größer ist jetzt die Freude, daß die Stadt die Erneuerung der Straßenfront selbst ausführen läßt und den Anstrich des Balkenwerks und die Wiederherstellung der durch den Krieg zerstörten Figuren in Auftrag gegeben hat. … Schnitzwerk aus Ulmenholz, Man bemüht sich vergeblich zu enträtseln, was die einzelnen Figuren bedeuten sollen.
Der Artikel ist hinterlegt mit vier Bilder:
Auf der Folgeseite findet sich dann eine Deutung der Figuren nach Wilhelm Rothert. Die römische Zahl bedeutet die Reihe (I) unten. Die arabischen Zahlen zählen von links nach rechts. Die Figuren mit Motiven aus biblischen und der legenden- und Weltgeschichte sind bunt durcheinander gewürfelt. Sie sind mit Stiften am Balkenwerk befestigt, also abnehmbar. Es könnte bei einigen ein Platzwechsel stattgefunden haben.
Die DEWEZET vom 22. Dezember 1949 berichtet mit der Schlagzeile „Altes Schnitzwerk in neuer Pracht“ über den Bildhauer vom Stiftsherrenhaus, der die zerschossenen Masken und Figuren wiederherstellt. Arn Walter. Schüler der Dresdener Akademie der bildenden Künste und des bekannten Tierbildhauers Löhner, … Der Künstler lebt seit einigen Jahren als Flüchtling in Hameln. Er arbeitet mit altem trockenem Eichenholz, welche im Gegensatz zur Ulme viel Jahrhunderte überdauert.
DEWEZET vom 15.02.1965: Fünfzig Jahre Wein-Peter in Hameln. Der Name ist mit dem Stiftsherrenhaus verbunden. Gegründet wurde die Weinhandlung 1915, die 1924 zur Miete ins Stiftsherrenhaus umzog. 1930 wurde eine Kellerei im Hochzeitshaus ausgebaut. Im Rathaus daneben befanden sich Büro und Weinstube. Ein Teil des Gewölbe des Rathauses diente als Flaschenlager. 1945 wurde alles zerstört. Eugen Peters starb 1947. Sohn Heinz und die Mutter übernahmen die Geschäftsräume im Stiftsherrenhaus und gründeten „Wein-Peter zum Stiftsherren- und Hochzeitshaus“. Die kühlen Gewölbe des Hochzeitshauses beherbergten bis 1963 die Kellerei. Dann kündigte die Stadt und es erfolgte eine Verlagerung in die Walkemühle 2. Kleinverkauf und die Weinstube blieben im Stiftsherrenhaus.
DEWEZET vom 16.02.1967: Das Stiftsherrenhaus, vom Landeskonservator und Stadtverwaltung als „Denkmal voninternationelem Rang“ eingeordnet soll verkauft werden. Spekuliert wird, dass ein Kaufinteresent im Vorderhaus eine Kaffeesstube einrichten und den rückwärtigen Bereich mit rund 1.500 qm zu einem Selbstbedienungsladen ausbauen will.
Bericht DEWEZET vom 3. März 1967: „Die Legende vom Stiftsherrenhaus – Lange wurden die Bilder falsch gedeutet.“ Auszug: Vor dem Haus befindet sich noch ein sogenannter Beischlag, eine kleine, mit Seitenbänken verzierte Plattform. Sie wird nach der Straße zu durch zwei steinerne Waagen mit den allegorischen Figuren der Ecclesia und Justitia abgeschossen. Das Stiftsherrenhaus wurde 1558 vermutlich an der Stelle eines gotischen Steinhauses errichtet, denn im Keller befinden sich noch gotische Kreuzgewölbe mit zwei Säulen. In der Mitte des Daches soll sich früher noch ein breiter Erker mit einem spitzen Dach befunden haben, dessen Teile verlorengegangen sind. … In einer bei C.W. Niemeyer gedruckten Broschüre „400 Jahre Stiftsherrenhaus in Hameln“ hat Dr. Heinrich Spanuth Forschungen über das Haus zusammengetragen. Spätere Besitzer des Hauses waren der um Hameln während des Dreißigjährigen Krieges verdiente Bürgermeister Gerhard Reiche. 1793 wurde das Haus von der Familie Zeddies erworben, der es über anderthalb Jahrhunderte gehörte.
DEWEZET vom 19.07.1069: „Im Oberstock regieren die Planeten – Das Stiftsherrnhaus in neuem Glanz / Eine Hamelner Legende wird widerlegt. Bericht über einen Abschluss der Fassadensanierung. Die Stadt hat das Haus von der Familie Zeddies erworben. „Das neue Kleid des Stiftsherrnhauses ist eine Spende des Verlags C.W. Niemeyer und der Deister- und Weserzeitung – den Bürgern zur Freude, dem Stadtbild zum Vorteil und dem Fremdenverkehr zum Nutzen.“ Dargestellt wird die Bedeutung der Figuren. Hier wurde eine Umbestimmung einzelner Darstellungen vorgenommen.
DEWEZET vom 9. Januar 1969: Hier wird über den Erwerb des Hauses durch die Stadt spekuliert.
DEWEZET vom 24.12.1973: Das Museum soll um das Stiftsherrenhaus und zwei Anbauten erweitert werden. Eine „Seufzerbrücke“ soll die Gebäude verbinden. Anziehungspunkt für Besucher und Einwohner der Stadt soll das geplante Cafe oder Restaurant im Erdgeschoß des Stiftsherrenhauses werden, in dem sich zur Zeit eine Weinhandlung befindet.
DEWEZET vom 20.12.1974: „Ab Januar erfolgt der Umbau des Stiftsherrenhauses.“ Der Bundeszuschuss beträgt 0,7 Mio Euro. Das Land beteiligt sich mit gleichhoher Summe. Gesamtkosten 2 Mio. DM. Planung Architekt Hundertmark.
DEWEZET vom 8.3.1975: „Lange hätte das Stiftsherrenhaus nicht mehr aufrecht gestanden. Verfall des Gebäudes wurde bei Sanierungsarbeiten offenkundig.“ Ein Bild zeigt die Sanierung der Rückfront. Ein Anbau ist abgerissen. Die Rede ist von morschen Balken, mürben Mauerwerk und zerbrochenen Holzträger. Der Architekt Helmut Hundertmark bezeichnete das Haus als baufällig. Der Gewölbekeller des abgerissenen Anbaus konnte nicht erhalten werden. Dieser Anbau war völlig zerrottet. Die Kosten für die Sanierung des Hauses betragen 2 Mio. Euro. Sie werden anteilig vom Bund, Land und Stadt getragen.
DEWEZET vom 17.01.1976: „Teil des Stiftsherrenhauses wird Cafe. Eröffnung für Ostern vorgesehen. Pächter wird Eckhard Baß.
Informationen aus der Facebookgruppe „Unser Hameln“ (Gerhard Fricke):
1885 befand sich in dem Gebäude die „Hamelner Bank“. Diese wurde 1893 von »Carl Zeddies« und »Paul Budde« gegründet. Ab 1913 war sie Filiale der »Rheinisch-Westfälischen-Disconto-Gesellschaft«, welche 1917 von der »Dresdner Bank« übernommen wurde.
Danach hatte die Stadt dort ihr „Verkehrsbüro”, später folgte die »Weinhandlung Peter«.
In den 30igern befand sich dort ein „KdF-Büro” und im 2. Weltkrieg war die „Metallsammelstelle” im Haus.
Alte Postkarten, Anzeigen und Fotos (Quelle Facebook /Unser Hameln):
Die Figuren mit den Maskenornamenten:
Zusammenstellung: Ralf Hermes, 16.08.2020