Gastbeitrag: „Wahlerfolg mit Opferrolle“ von Günter Bialkowski

Hameln, 07.07.2023: Die Journalisten Jahn Sternberg und Alisha Mendgen zitieren am 27.06.23 in ihrem Beitrag in der Dewezet den Soziologen Wilhelm Heitmeyer. Der sieht in dem Wahlverhalten vieler Thüringer „eine bewusste Entscheidung für den autoritären Nationalradikalismus“ der AfD.

Die Menschen sehen das „autoritäre Ordnungsmodell“ ala AfD mit einem „aggressiven Kommunikationsstil“ gepaart mit dem Überlegenheitsgefühl der deutschen Kultur, gegen die Demokratie gerichtet und für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als äußerst attraktiv an. Wir reiben uns die Augen und fragen kann das sein? Und die Journalisten zitieren den CDU-Landeschef von Brandenburg Jan Redmann: „Die Bürger haben Sehnsucht nach einem grundlegenden Politikwechsel in Berlin und Erfurt.“ Bis hier her werden nicht wenige mit dem Dewezet-Beitrag konform gehen. In dieser journalistischen Arbeit fehlt m.E. jedoch ein wesentliches Element.

Es fehlt der ganzheitliche emotionale, diverse Blick auf unsere Demokratie! Umfragen ergeben: viele Menschen fühlen sich von der Politik nicht mehr repräsentiert! Dieser inflationäre Umfragewert spiegelt ein Lebensgefühl wieder!! Und viele dürfen überhaupt nicht wählen! Kritik richtet sich vor allem auf die Politiker, an die Parteien! Doch sie richtet sich auch an den politisch-medialen Mainstream der Presse! So wie Parteien, Politiker mit Distanz und Misstrauen belegt werden, so trifft das auch auf Journalisten und Redakteure der etablierten Verlage zu! Es liegt auf der Hand, alle Akteure die über Politik berichten, oftmals eigene Meinungen einfließen lassen, sollten zu einer realistischen, ganzheitlichen Recherche-Arbeit zurück finden! Denn so nimmt der normale Mensch vom schnellen und hektischen Lebensrhythmus überrollt, unsere krisengeschüttelte oftmals kalte Demokratie wahr. Und diese Demokratie hat zu mindest im Westen zu einer Meinungsvielfalt beigetragen, die auch durch die Kanalisierung der veröffentlichten Meinung der Presse (auch in Leserbriefen) willkürlich verengt wird! Folgen: Misstrauen, hasserfüllte soziale Medien, Agitation auf den Straßen, schrumpfende Mitgliederzahlen in Parteien, schrumpfende Wahlbeteiligung, schrumpfende Auflagen der etablierten Medien. Und ein Erstarken und Wahlerfolge der AfD im kommunalen Bereich! Der, dieses alles als neue Sollbruchstelle für den Einstieg in die Mitte der Gesellschaft und deren Radikalisierung euphorisch in die Hände spielt! 

So sollte es nicht weiter gehen! Milieu-Beschreibungen in der Sprache der AfD und auf die Ampel zeigend wie von Friedrich Merz bevorzugt, dabei eine unbeteiligte Rolle seiner CDU in den letzten 16 Jahren spielen geht gar nicht! Rechtes und völkisches Denken war schon immer in den etablierten Parteien gebunden, vielleicht in der Union stärker als in anderen Parteien. Gerhart Baum, ehemals deutscher Innenminister sieht gar eine Verachtung der Demokratie durch Teile des deutschen Bürgertums (Frankfurter Allgemeine 27.06.23). Diese geschichtlich von unserer Presse nicht wirklich aufgearbeiteten Themen, wie auch der aktuelle Kulturkampf-Stil der Union treffen heute auf Bedingungen, die es sogar Menschen aus der Mitte und unseren Eliten opportun erscheinen lassen, so zu denken. Ja sogar als handlungsleitend anzuerkennen! Das macht heute die neue Qualität aus! Parteien und Medien haben Anlass genug selbstkritisch auf die letzten Jahre ihrer Arbeit zurück zu blicken!

Die Dewezet verbindet den Wahlerfolg der AfD in Sonneberg mit einer Opferrolle. Dennoch sind es Politiker und Journalisten gewesen die auch die Veränderung der Debattenkultur durch die permanente Provokation der AfD im Bundestag und auf der Straße hingenommen haben, statt sie mit klarer Kante zu bekämpfen! Oder wie die Union, sie sogar rechts zu überholen sucht. Provokation und Opferrolle gehören bei der AfD zum alltäglichen Ritual. Kein Journalist sollte dies mehr empören, allein es schafft nur zusätzliche Aufmerksamkeit. Und davon lebt diese Partei! Wer wie unsere demokratischen Politiker und freien Journalisten stets eine Kamera, Mikrofon oder Tablet zur Verfügung hat, anders als der normale Bürger, der trägt eine höhere Verantwortung für unsere Demokratie! Mein Rat: Entzaubert diese Volksverführer, zeigt ihnen mit festem Blick auf unser GG jedesmal die Grenzen auf! Seit mutiger als bisher! 

Für unsere heutige komplexe Welt und für unsere vielschichtigen Probleme und Krisen hat die AfD weder Lösungskonzepte noch die nötigen Köpfe! Sie interessiert nur der Zusammenbruch unserer Gesellschaftsordnung! Und dazu missbrauchen sie unsere Werte, spielen mit aufgeladenem Heimatgefühl, Vaterland, missbrauchen die Stellung der Frau und attackieren die Symbole unseres Staates! Doch ein letztes Wort gilt auch uns: Unsere Demokratie braucht Revitalisierung, Runderneuerung! Hier sind alle gefordert, wir Alten wie auch unsere jungen Menschen. Und es ist ein mühsamer Prozess. Im Herbst und im nächsten Jahr stehen demokratische Wahlen an, kümmern wir uns nicht um jene mit krummen Psychen und queren Phantasien. Suchen wir das Gespräch mit enttäuschten Nachbarn. Kümmern wir uns um Menschen die den Glauben an unsere Demokratie verloren haben. Studien und Analysen zeigen, nicht alle AfD-Wähler sind Nazis! 

Günter Bialkowski 

Berichte zum Thema AfD im Weserbergland siehe:

https://hamelnerbote.de/archive/tag/afd-weserbergland

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