Hameln, 20.09.2023: Zum DEWEZET Artikel „Mehr Leben in der Innenstadt? Antrag sorgt für Knatsch in der Hamelner Politik“ von Frank Henke in der Zeitungsausgabe vom 19.09.2023 erreichte mich der nachfolgende Beitrag von Günter Bialkowski.
Legen wir den Parteienstreit einmal beiseite und wenden uns dem Kern des Problems zu, so haben wir es hier mit einem vielschichtigen Kulturproblem zu tun! Dagegen erschließt sich mir die angesprochene Forderung nach Verbesserung der Ankündigungs-Veranstaltungen nicht. Überall in Deutschland entleeren sich die Innenstädte und Bürgermeister, Städteplaner, Stadtparlamente, vereinzelt auch Bürgerinitiativen suchen verzweifelt nach Lösungen! Dörfer und Städte verändern sich, damit müssen wir leben. Der größte Anteil an negativen Impulsen auf unsere moderne Lebensweise geht von unserer Art des neoliberalen Wirtschaftens und der daraus resultierenden Wertschöpfung aus. Denn das wissen wir schmerzlich genug, der spürbarer werdende Klimawandel erinnert uns tagtäglich daran!
Vielleicht müssen wir in unserem Hamsterrad einfach mal innehalten, zur Ruhe kommen und schauen wie es die anderen machen! Könnte ja sein, dass es an anderen Orten schon Lösungen gibt. Zum anderen könnten Leser – also wir Bürger der Stadt Hameln- sich auch fragen, warum ist die leere Innenstadt nur ein Thema für den Oberbürgermeister, den Spitzen der Parteien, der örtlichen Presse und Journalisten, des Handwerks, Handels und der Geschäftswelt? Vielleicht dämmert es uns langsam, auch wir als Bürger haben eine Bringschuld, sind wir doch auch auf vielfältige Weise daran beteiligt, dass unsere schöne Innenstadt viel zu häufig verwaist, leer und ohne Leben wenig attraktiv erscheint!
Ja, auch ich kenne die Situation, weiss vom Mietenanstieg! Dass ganze Stadtviertel ihr Gesicht verändern, weil Gutbetuchte teure Mieten besser wegstecken und auch dadurch ein Bewohneraustausch stattfindet! Weiss davon, dass es soziale Probleme gibt, der Straßenlärm und der Verkehr zunehmen, die Radfahrer mehr Rechte einfordern, Ordnung und Sauberkeit verlorengehen und vieles andere mehr. Und dennoch sollten wir uns fragen, warum haben wir uns nicht gegen diese Entwicklungen gewehrt? Und vor allem, warum sind wir auch jetzt wieder so passiv! Ohne unser Engagement wird es nicht gehen! Denn die Frage (schon mehr ein Weckruf!) von Frank Henke „ Mehr Leben in die Innenstadt?“ richtet sich an alle, auch an uns!
Mir fällt auch hier wieder auf, dass der Autor dieses Beitrags den ganzheitlichen Ansatz vermissen lässt. Es könnte ja sein, dass die Spitzen unserer Stadt in der Vergangenheit Fehler gemacht haben? Seit den 60er Jahren ist der Begriff der Gentrifizierung (sozioökonomischer Strukturwandel) Bürgermeistern, Politikern, Stadtplanern, Gewerbe- und Handeltreibenden gut bekannt. Und als in den Folgejahren überall die Steuereinnahmen noch sprudelten, wollten vielfach Lokalpolitiker mglw. von Ehrgeiz getrieben ihre Innenstädte attraktiver und ihr Image über Stadtgrenzen hinweg erhöhen. Ob dies in Hameln auch so war, hätte Frank Henke zumindest erwägen, wenn nicht gar recherchieren können! Jedenfalls gab es Aufwertungsbestrebungen, großflächige Abbrucharbeiten, teure Sanierungsprogramme und anderes mehr. Ob die Planung und Erstellung des ECE-Centers hier hinein gehört, weis ich nicht. Das können andere Bürger vielleicht besser beurteilen! Was damals nur wenige bedacht haben und vielleicht haben wir gerade deshalb überall ähnliche Probleme, sind die ansteigenden Mietpreise für Gewerbeflächen und Mietwohnungen! Es gab und es gibt auch in Hameln viele Menschen die niedrige Mieten brauchen um überleben zu können. Und hier liegt das Kultur-Problem Nr. 1 von dem ich eingangs sprach. Die Folge all dieser Maßnahmen, dieser Politik waren ein Austausch der Bürger durch zwangsläufig folgende Mieterhöhungen und im Gewerbebereich die ansteigenden Leerstände und Geschäftsschließungen!
Was also ist zu tun? Lokalpolitiker aller Parteien müssen wegkommen von allen Fassetten der Aufwertung, seien es Straßen, Areale oder ganze Viertel! Auch weil damit immer eine neue Büchse mit Gewinn-Maximierern aufgemacht wird und Bürger gegen die meist Kapital unterfütterten Berater- und Anlage-Unternehmen kaum Chancen haben. Zum anderen müssen Programme her, die in Mieten und soziale Räume investieren. Das Leben muss wieder als ganzheitlicher Prozess gedacht werden. Und dazu gehört zu allererst, das Grundrecht auf Wohnen, bezahlbares Wohnen wohlgemerkt, muss wieder attraktiv gemacht werden, denn es gehört wie Strom und Wasser zu unseren Grundbedürfnissen! Und wenn dies der freie Markt nicht schafft, dann müssen unsere Lokalpolitiker nachbessern! Denn systemische Fehler kann nur die Politik durch effektiv härtere Gesetze als bisher beheben. Hier versagt der Markt schon über Jahrzehnte! Und weiter gedacht liegen hier auch Gründe für das Anwachsen des Populismus in unserer Gesellschaft!
Günter Bialkowski
veröffentlich am 20.09.2023, herral