Wird es Zeit, damit aufzuhören?
„… irgendwann muss auch mal Schluss sein, man kann nicht immer mit der Vergangenheit leben, das Leben geht weiter und im Jetzt und Heute lebe ich gerne.“
So und ähnlich lauten Texte oder Kommentare, die ich bei Facebook mit auf den Weg bekommen hatte, kurz bevor ich zur jährlichen Gedenkfeier anlässlich der Zerstörung der Hamelner Synagoge vor 81 Jahren gefahren bin.
Ich frage mich, ob die Menschen, die ein Ende der Erinnerung fordern, selber auch nur einmal an so einer Gedenkveranstaltung teilgenommen haben?
Ich frage mich, ob diese Menschen einverstanden wären, wenn wir das Ende der Erinnerung auch für den Totensonntag oder andere Erinnerungstage fordern, wenn wir z.B. der in den Weltkriegen umgekommenen Menschen (ich meine da nicht allein die Soldaten) gedenken?
Gerne hätte ich noch geschrieben: NEIN! Das Erinnern, das Vermitteln des Wissens darüber, was da passiert ist, darf nie aufhören. Im Gegenteil, gerade heute ist es wichtiger denn je.
Der Facebook-post wurde vom Admin mit dem Kommentar „aus verschiedenen Gründen geschlossen“ und er „hoffe, dass ihr was Besseres zu tun habt außer (in) diese Gruppe politisch zu instrumentalisieren“.
Ich frage mich, ob die Menschen, die die erinnerungskritischen Sätze tippten, Nachrichten sehen? Ich frage mich, ob sie nicht wahr nehmen, was da international und auch in Deutschland passiert?
Die Taten der Geschichte mit dem Anzünden der Synagoge, das fabrikmäßige Ermorden und Verbrennen von Menschen, das hatte eine Vorgeschichte. Diese Vorgeschichte endete mit der Weimarer Republik. Die Mittel der demokratischen (!) Machterringung der Nationalsozialisten waren Lüge, Manipulation, Emotionalisierung, Machtdarstellung, aber auch schlicht die Überzeugung vieler Menschen mit ihren Ideen.
Die Bundesrepublik ist nicht Weimar. Heißt es. Wir haben tatsächlich noch nicht einmal eine bedrohliche Wirtschaftskrise und dennoch machen sich politisch rechtsextreme Strömungen von Intoleranz und Polarisierung in weiten Teilen der Bevölkerung breit. Es wird für die Mitte Zeit, „wach zu werden“! Was soll eigentlich passieren, wenn wir einen Abschwung, ein Steigen der Arbeitslosigkeit und echte wirtschaftlicher Not bekommen?
Nein, die Bundesrepublik ist nicht Weimar, wir wählen schon jetzt nur aus Überdruss im Wohlstand Menschen, die wie Herr Höcke Dinge sagen, die an sich unsagbar sind.
Auf Facebook blieb in der Hamelner Gruppe der „Shit-Storm“ gegen die bedenklichen und auch gegen die offensichtlichen Kommentare aus. Die „Vernünftigen“ ziehen sich wohl zurück. Schon jetzt, obwohl gar keine persönliche Bedrohung vorhanden ist.
Zurück zur Gedenkfeier heute in der Bürenstraße.
Rund 150, vielleicht auch 200 Menschen waren gekommen. Viele, die man jedes Jahr sieht. Der Altersschnitt liegt gefühlt deutlich über 60 Jahre. Die Jugend fehlte, bis auf ganz wenig Ausnahmen.
„Hameln schäm dich!“, möchte man rufen, aber die, die es hören sollten, lesen das hier sowieso nicht. Sie würden es auch nur als Moralisieren verstehen und es würde noch mehr Abwehrhaltung erzeugen.
Mir bleibt nur zu hoffen, dass sich Geschichte nicht wiederholt.
Ich habe ein mulmiges Gefühl.
Alle Fotos: Ralf Hermes, 09.11.2019