Vor hundert Jahren: Nds. Volksstimme aus Hameln. 16.12.-31.12.1920

Impressionen und Auszüge aus der Hamelner Zeitung „Niedersächsische Volksstimme“, die bis 1933 in Hameln erschien. Redakteur Arno Reichard. Anzeigen und kleine Texte:

Aus dem Polizeibericht. Im Interniertenlager wurde einem Russen eine Uhr mit Kette gestohlen. Bei dem Wachtmann Biermann fand die Polizei die gestohlene Kette im Ofen versteckt. – Vor dem Brücken- und Neuentore sind in den letzten Nächten aus mehreren Gartenhäusern Hühner und Kaninchen gestohlen . Die Tiere sind an Ort und Stelle abgeschlachtet. – Schon wieder hat sich ein Schwindler als Kriminalwachtmeister ausgegeben und versucht, einen Geldbetrag zu ergattern. Es ist ihn auch gelungen, einen Russen um ein Paar Stiefel im WErte von 300 Mark zu betrügen. Als Täter ist der Elektriker Emil Becker, Hafenstraße 80 von der Polizei ermittelt. Becker ist flüchtig. …



Mein Vaterland.

O Vaterland! Wer kann in dir noch wohnen? Wenn ich ein Berg wär´ auf den deutschen Auen, Wenn ich ein Strom wär´ in den deutschen Gauen, Auswandern würd´ ich schnell nach anderen Zonen.

Wenn ich ein Eichbaum wär´, nicht länger fronen würd´ ich den deutschen Männern und den Frauen, Nach einer neuen Heimat würd´ ich schauen, Die würdig wäre meiner grünen Kronen.

Doch ach! Der Mensch liebt seine Heimatsterne, Sei seines Volkes Schicksal noch so herbe, Er zieht gebrochnen Herzens in die Ferne.

Ihm gab ein Gott dies Liebesteil zum Erbe, Daß er sein Vaterland befreien lerne und in im lebe, oder in ihm sterbe. (Veröffentlicht ohne Quellenangabe in der Nds. Volksstimme vom 18.12.1920. Recherche ergab als Verfasser Ludwig Pfau, 1821 –  1894 , Flüchtlingssonette vom Jahr 1849)  






Sprechsaal: (Für Einsendungen unter dieser Rubrik trägt die Redaktion nur die Verantwortung im Sinne des Pressegesetzes.)

Dem „Fest der Freude“ entgegen!

Weihnachten steht vor der Tür…! Mit diesen Worten beginnt ein Artikel des gesch. hiesigen Parteiorgans, das in allen Teilen geeignet ist, allen denen vorgehalten zu werden, die heute schwelgen und prassen und sich kein Bild von dem grenzenlosen Elend der Schwerkriegsbeschädigten machen können. Ein Schwerkriegsbeschädigter (Amputation des linken Oberschenkels) stellt hiermit nachstehende Fragen der Öffentlichkeit zur Beantwortung:

  1. Wie soll ich auskömmlich leben, wenn mein Gesamtmonatseinkommen 188,39 Mark beträgt?
  2. Konnte mir nicht in Anbetracht der nachzuzahlenden Rentenerhöhung ab 1. April 20, die in diesem Falle mehr als 1500 Mark beträgt und in den nächsten Wochen ausgezahlt wird, ein ausreichender Rentenvorschuß gezahlt werden?
  3. Ist das der „Danke des Vaterlandes“, daß sich heute ein Beinamputierter laufend obdachlos melden muß, nur um nachts ein Dach über seinen Kopf zu haben?
  4. Laut Inserat in hiesigen Zeitungen offeriert das Kreiswahlfahrtsamt Mäntel zu billigsten Preisen. Dagegen bittet ein Schwerkriegsbeschädigter um warme Überkleidung und es findet sich kein Weg, aus diesen Beständen einen Mantel zur Verfügung zu stellen?
  5. Von 11 Stellenbewerbungsschreiben des Schreibers dieser Zeilen wurden 9 überhaupt nicht beantwortet und 3 abschlägig beschieden.
  6. Ist in Hameln kein Arbeitgeber, der den Schwerkriegsverletzten, der in Besitze guter Zeugnisse ist, Stellung und dadurch Brot und Unterkommen verschafft?

Was bedeutet das „Friedensfest“ für den Schreiber dieser Zeilen= Hunger, Not, Elend, Kälte, Krankheit und Verbissenheit!

Weihnachten steht vor der Tür! Deshalb empfindet der Einsender diesen Bürokratismus unsossehr.

4 Weihnachten im Felde, das fünfte Fest obdachlos in Zivil! Wahrhaft eine gute Aussicht.

Wo bleibt der Dank des Vaterlandes? Ein Schwerkriegsbeschädigter.


U.a. ein langer Tätigkeitsbericht des Verbandes der Vaterländischen Frauenzweigvereine im Kreise Hameln im Jahre 1920.


Die Gabe des Gebens.

Weihnachten naht heran, und die Zeit des Schenkens im Jahr steht bevor. In der Heimlichkeit stiller Stuben und in der hellen Pracht reichgefüllter Läden werden die Überraschungen ausgewählt, mit denen man seine Lieben zu erfreuen gedenkt. Aber wieviel Überflüssiges, Unnützes, Sinnloses findet sich doch unter den Weihnachtsgeschenken! Die „Gabe des Gebens“ ist nicht jedem verliehen, ja sie findet sich sogar seltener als man glaubt, denn sie ist bedingt durch köstliche Eigenschaften die gar vielen fehlen. Um das rechte Geschenk auszuwählen, muß man ein gutes Gedächtnis haben und einen feinen Takt Güte und vor allen Neigung zu dem, den man erfreuen will. Es ist merkwürdig, daß die reichen Leute so selten Geschenke machen, die erfreuen. Sie glauben, daß mit Geld alles zu erwerben ist; aber man merkt der Gabe an, daß ihr die recht Geberfreude fehlt, und so strahlt sie nicht jenen Zauber von Wärme und Glück aus, der das bescheidene Geschenk der Armen so schön und rührend macht. Diejenigen, die nicht mit den Gütern dieser Welt gesegnet sind, für die das Schenken ein seltenes und großes Ereignis ist, sie sind es, die ihre ganze Seele in die Gabe legen, die lange vorher an Geburtstage und festliche Gelegenheit denken, und die sich reiflich überlegen, wodurch sie den andren erfreuen wollen. Vor allem gehört ein gutes Gedächtnis zu der Kunst des rechen Schenkens. Man muß sich mit aller Kraft und allem Mitfühlen in die Persönlichkeit und die Umwelt des Empfängers versenken, muß mit seinen Augen sehen und wählen, wenn man das beste Geschenk finden will. Nur der hat die Gabe des Geben, der ihr das Beste mit gibt, was der Gebern besitzt, nämlich sein Herz und seine Liebe. (Text vermutlich vom Redakteur Arno Reichert)



Zusammenstellung: Ralf Hermes, 24.12.2020

Quelle: Stadtarchv Hameln

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