Hameln, 24.05.2023: Leserzuschrift zum DEWEZET Leitartikel vom 17.05.2023:
Unter Zugrundelegung des DWZ-Leitartikels „Schieflage des Gesundheitswesens“, von Timm Szent Ivanyi, vom 17.05.23 entstand dieser Beitrag. Es gibt Lieblingsthemen für Zeitungsmacher und Journalisten. Und so stand dieses Thema Gesundheitswesen neulich auf der Agenda. Timm Szent Ivanyi durfte ran. Vielleicht haben Sie ja seinen Beitrag gelesen und können sich erinnern. Meine Erinnerung und an andere - die ich auch noch gelesen habe ist zwiespältig: Der Blick und die Herangehensweise wie unsere Journalisten dieses Thema sehen, beschreiben und beurteilen ist ziemlich gleich, sozusagen austauschbar! Wenn ich es salopp ausdrücken müsste: Es kommen zu viele Häuptlinge zu Wort (direkt oder indirekt) und es fehlen die Indianer. Und es fehlt der Bezug zur Heimat, wie sieht es denn in Hameln und Umgebung wirklich aus? Noch nie habe ich den O-Ton eines unzufriedenen Kunden, früher hätte ich Patienten gesagt, wenn er denn die Mängel schildern könnte. Und was total quer ist, kann man schon an der Überschrift ablesen. Redakteure, Journalisten sollten sich endlich entscheiden, wir haben heute einen Gesundheitsmarkt! Das Gesundheitswesen wurde mit dem Pflegeversicherungsgesetz vom 01.01. 1995 abgeschafft. Seit her kennen wir Anbieter und Kunden! Und es tobt der ideologisch verbrämte Konkurrenzdruck, der durch marktwirtschaftliche Funktionsweisen Krankenhäuser, Ärzteschaft, Pflegekräfte und Patienten zu Verhaltensmustern zwingt, die nicht selten kontraproduktiv zum normalen Leben stehen! Es gibt Recherche-Studien die seither die Privatisierung, die Ökonomisierung und die finanzmarktorientierten Investoren und Betreiber auf ihre Wirkungen in die Zivilgesellschaft hinein untersuchen. Fazit: Es gibt einen Milliarden-Markt und es gibt praktisch über Nacht Großkonzerne die auf dem deutschen und dem europäischen Pflegemarkt unter hohem Renditedruck Millionen-Gewinne abgreifen! Dies konnte Underdog kann geschehen, weil sie bei uns auf eine politisch gewollte öffentliche Daseinsvorsorge treffen, die sich wunderbar abschöpfen lässt! Der Politische-Wille der 1990 er Jahre hat es möglich gemacht! Der Autor dieses Leitartikels beklagt an einer Stelle die Schieflage der Debatten, wenn er z. B. den Chef der Ärztekammer zitiert, der offenbar das Thema Honorierung der Ärzte für die Behandlung von Privatpatienten für wichtiger hält als die eigentlich dringend benötigte Krankenhaus-Reform! Doch das wirklich wichtige Thema „Geschäftemacher, Rendite versus Gemeinwohl-Orientierung“ kommt real wie gefühlt bei ihm wie bei anderen Journalisten und auch Politikern zu wenig bis gar nicht vor! Marktstrukturen, Geschäftspraktiken der agierenden Akteure am heutigen Gesundheitsmarkt haben eine Eigendynamik entwickelt, die von unseren Politikern kaum mehr einzufangen ist! Der Parteienstreit und die Unfähigkeit zum Kompromiss spielen den professionell best ausgestatteten Verbandsvertretern, Funktionären und Lobbyisten gemäß unseres Wirtschaftssystems stark in die Hände. Wie eingangs andeutet, gibt es Lieblings-Themen, da haben Redaktionen, Redakteure und Journalisten Spielräume. Mal wird die eine Gruppe, mal die andere Gruppe oder auch schon mal eine Person hervorgehoben oder auch weniger ins Rampenlicht gestellt. Doch gemäß ihrer gesellschaftlichen Eingebundenheit in unser marktliberales System und manchmal auch wegen ihrer privatisierten Verflechtungen mit Tochter-Gesellschaften und Unternehmen werden Kritiken oder Missstände nach Möglichkeit vermieden! Das kostet Vertrauen bei den Betroffenen. Eine wirklich neutrale Haltung in diesem Marktgewusel ist heute kaum mehr erkennbar! Und so werden Presse und Medien ihrer Wächter-Funktion in unserer Gesellschaft nicht mehr gerecht! Viele Patienten / Kunden unseres Gesundheitsmarktes fühlen sich von niemanden mehr vertreten. Die Palette der kritischen Stimmen reicht von Enttäuschung bis blanker Hass und Wut auf Medien „und“ Politik !! Diesen Teufelskreis in unserer Demokratie zu durchbrechen erfordert große Anstrengungen aller Beteiligten! Und es erfordert Veränderungen in den Strukturen und weil das Bild so schön passt, bedarf es vor allem mehr Mitsprache der rund 85 % Indianer! Vertrauen kann nur wachsen: wenn der Mensch, das Individuum in seiner Bedürftigkeit in jedem Leitartikel, jedem Kommentar wieder an erster Stelle steht, erst dadurch verändert sich auch der Blick. Und unsere Redaktionsleitungen, Journalisten, Moderatoren brauchen einen „anderen Blick“! Es gibt eine Zeitung, leider nur in der Schweiz, die wirbt sogar mit dem Label „der andere Blick“! Erstaunlich: ihre Leitartikel und Kommentare kommen irgendwie menschlicher, ehrlicher rüber! Alle Professionalität und Sachlichkeit verlieren an Bedeutung, wenn Journalisten menschliche Nähe, Zugewandtheit und Solidarität vermissen lassen. Redaktionsleitungen, Verlage und Verleger sollten sich lernfähig erweisen, ökonomischen Druck reduzieren, und mehr Schreib- und Themen-Freiheit für Journalisten zulassen! Denn das Zeitungssterben hat sicher mehrere Gründe, dieser, durch Verdichtung und permanenten Wirtschaftsdruck aufgezeigte ist einer der wichtigsten! Günter Bialkowski
herral, 24.05.2023