Hameln, 17.07.2025: Das Kartoffel-Beispiel
Liebe Leserinnen und Leser,
die Gemengelage des Konflikts Israel-Gaza lässt uns immer wieder ratlos zurück. Es scheint als ob es hier keine rationale Lösung geben kann, weil dieser Konflikt mit vielen Emotionen befrachtet ist, dass selbst Kriege bisher keinen dauerhaften Frieden erzwingen konnten. So wie es damals beim Überfall der Hamas viel Solidarität mit Israel gab, so geschieht es heute mit der Zivilbevölkerung im zertrümmerten Gazastreifen. Das große Leid lässt uns alle nicht unberührt. Und so mäandern Institutionen und Kirchen und handeln entsprechend der augenblicklichen Gefühlslage. Wir müssen anerkennen, hier menscheld es überall und das ist auch gut so, von einer vernunft-unterlegten und gerechten Beurteilung sind wir oftmals weit entfernt.
So sehe ich das derzeitige Handeln Benjamin Netanjahus und seiner rechten Regierung in Gaza nicht mehr angemessen. Es gibt zu viele Opfer: Kinder, Mütter, alte Menschen, Kranke mit schwersten Verletzungen an Leib und Seele, diese Machtdemonstration in einem pulverisierten Land ist nicht mehr zu rechtfertigen. Die Zivilbevölkerung ist hilflos, kennt keine Sicherheit, kämpft jeden Tag mit Hunger und fehlender sozialer Infrastruktur. Netanjahu gehört wie auch seine rechten Minister und Generäle vor den internationalen Gerichtshof in Den Haag gestellt, nur hier kann m. E. festgestellt werden, ob es in Gaza einen Genozid gibt. Ein sofortiger Waffenstillstand könnte von Präsident Trump durch einen sofortigen Waffenliefer-Stopp an Israel herbei geführt werden! Aber es sind eben nicht alle Israelis die Netanjahus Kurs unterstützen. Wir wissen um die großen Demonstrationen für die Überfall-Opfer, gegen den Krieg und für den Frieden. Ob das alles Wunschdenken bleibt, hängt nicht nur von unserem Verhalten im internationalen Weltgetriebe ab. Wo wir mit unserer Vergangenheit mehr als andere beobachtet werden.
Das Kartoffelbeispiel kann für typische Verhaltensmuster stehen: Man will nicht so recht Stellung beziehen aber dennoch im Moment auf der richtigen Seite sein. Eine Kartoffel kann wässrig und nach nichts schmecken. Ein „Geschmäckle“ kann sie nicht entwickeln, das können nur Menschen, in dem sie nach i h r e n moralischen Maßstäben urteilen. In meinem Beitrag am 9.7. habe ich Josef Schuster und Tobias Kühn zitiert und ihre Meinung wiedergegeben. Und mich von der Haltung der Ev. Kirche distanziert, weil ich sie nicht teile. Dennoch möchte ich zu bedenken geben, wir dürfen uns bei der Suche der angemessenen Haltung, nicht zum Spielball rechter Interessen machen und uns auseinander dividieren lassen! Das würde nur die Erosion unseres Parteiensystems befördern. Lebenslügen und einen Kulturkampf können wir uns hier nicht leisten.
Uns allen sind Verhaltensweisen aus unserer eigenen Geschichte nicht unbekannt. Das damalige kollektive Verhalten vor 80 Jahren und mehr nannte man später despektierlich Mitläufertum. Jeder mag hier urteilen wie er möchte. Wer aber das Zusammenbrechen des Hitler-Staates am Ende des Krieges erlebt hat und davon gibt es noch lebende Zeugen, der weiss um die Auflösung aller Normen und Sicherheiten im sog. sicheren Hinterland. Der weiss um die Gefühle und Ängste der gequälten Zivilbevölkerung. Mein Beitrag sollte aus eigenem Erleben zu einem ehrlichen und von Haltung geprägten Diskurs beitragen. Äußerungen „ich möchte mich hierzu nicht äußern“ zeigen, dass man keine Haltung hat – oder sie nicht preisgeben möchte. Überlebende von damals haben zumindest diese Erfahrung den heute Lebenden voraus, man könnte vielleicht öfter auf sie hören. Denn Menschen können irren, seien es Bischöfe oder normale Bürger? Und – wir kommen um eine ganzheitliche Betrachtung von Realität und Geschichte nicht herum. Israel befindet sich zum ersten Mal in seiner Geschichte in einer dominanten Situation und Stärke. Damit maßvoll, zivilisiert und dem Völkerrecht gerecht umzugehen, muss auch für Israel gelten!
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Wir als Volk, hatten mit unseren westlichen alliierten Feinden 1945 ff. die später zu Freunden wurden viel Glück. Wir hätten auch ein ganz anderes Schicksal erleiden können! Deshalb glaube ich, sollten wir mit unseren geschichtlichen Erfahrungen bei der Beurteilung des Israel-Gaza-Konfliktes überlegt umgehen. Der „ewige“ Antisemitismus – die Menschheits-Geisel steht im Raum, er muss überwunden werden. Wir können mit Respekt für beide Seiten unsere Meinung sagen, sie kann schwanken, selbst Konrad Adenauer sagte einmal „ was stört mich mein Geschwätz von gestern“. Aber unsere Haltung und unser Handeln, sollten wir immer neu überdenken, denn man kann schnell vom Wege abkommen, damit wäre letztlich keiner Seite geholfen.
Günter Bialkowski
herral, 17.07.2025