Jede Familie war und ist betroffen. Aber das Grauen liegt schon so weit zurück, dass es aktuell keinen Bezug dazu zu geben scheint.
In meiner Generation gibt es eine persönliche Betroffenheit nur durch alte Familienbilder oder die Andeutungen aus Gesprächen, die niemand uns Kindern in Detail erläutern wollte.
Wie der Volkstrauertag am 17.11.2019 in Hameln begangen wurde, hier dazu ein Bericht:
Wie jedes Jahr hatte die Stadt Hameln eingeladen: Die zentrale Gedenkfeier begann um 11.30 Uhr mit einem Glockenschlag vom Münster Hameln vorm Ehrenmal hinter der Kirche im Rosengarten.
Der Posaunenchor der Martin-Luther-Gemeinde umrahmte die Feier musikalisch. Es begann mit einer Ansprache von Felix, einem 17 Jahre alten Schüler der Elisabeth-Selbert-Schule:
„Wir verbinden uns im Gedenken an diejenigen, die dem grausamen Schreckensregime der Nationalsozialisten unter Führung von Adolf Hitler auf tragische Weise zum Opfer gefallen sind.“
Ein Thema für Jugendliche seiner Generation ohne Relevanz? Von der Geschichte weit entfernt. Über 74 Jahre her. Da kann schon Gras drüber gewachsen sein.
Felix: „Ein Blick auf die heutige Politik und mir wird klar, dass es immer wichtiger wird, an die schrecklichen Verbrechen und ihrer Opfer zu gedenken!“
Es folgten sehr klare Worte zum Politikerspruch über den „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte oder die Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“.
Felix formulierte seine Angst, Angst davor, dass die Deutschen anfangen, zunehmend unsensibler mit dem Thema umzugehen. Es folgten selbstbewusste und klare Beispiel für Anfänge heute, die es damals auch so gegeben hatte.
Felix benannte es konkret: Aufpassen auf Verfassung und Demokratie – Wir dürften nicht vergessen, was Krieg für Leid und Elend auslöst. Das sei die Botschaft seiner Lehrerin, das sei auch aus seiner Sicht für seine Generation in Anbetracht des Agierens der AfD umso wichtiger.
Es folgten Worte von Agnes, ebenfalls von der Elisabeth-Selbert-Schule:
Schmerzhaft sei die Tatsache, dass die Kriegsereignisse im Unterschied zu Naturkatastrophen, unmittelbar von uns Menschen herbeigeführt werden. Nur einige Zitate: „Der Hass in uns Menschen ist die größte Gefahr für uns Menschen. Denn der Mensch ist im Hass zu Unmenschlichem fähig und dies mussten leider unzählige Opfer am eigenen Leibe erfahren.“
„Unsere Aufgabe ist es, den Frieden den wir schon haben, zu schützen und zu verbreiten.“
Agnes schloss mit einem Zitat von Willi Brand: Frieden ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Frieden.
Zwei beeindruckende Redebeiträge.
Es folgte die Ansprache von Oberbürgermeister Claudio Griese mit dem Erinnern an zwei Weltkriege und die vielen Millionen Menschen, die ihnen zum Opfer fielen. Der Oberbürgermeister nahm aber auch aktuelle Ereignisse in der Welt (Christchurch) und in Deutschland (Halle) in den Fokus und verknüpfte das Handeln dieser fanatischen Nationalisten, die aus eigenem Überlegenheitsempfinden bereit waren, bis zum Äußersten zu gehen. Die Toten der Weltkriege, wie auch die aktuellen Opfer hätten eine Gemeinsamkeit in der auslösenden Ursache: Dem Nationalismus. „Wenn wir fordern nie wieder Krieg, nie wieder Gewaltherrschaft, dann müssen wir auch fordern: Nie wieder Nationalismus. – Nationalismus tötet.“
Herr Güsgen trug dann den Gedenktext der Feierstunde vor, den Text des Totengedenkens, der durch den Bundespräsidenten Theodor Heuss 1952 eingeführt wurde und heute bundesweit verlesen wurde:
„Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.
Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.
Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.
Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz.
Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.“
Es folgten die Kranzniederlegungen. Auch durch eine Abordnung britischer Soldaten.
Eine sehr wichtige Gedenkveranstaltung.
Ca. 70 Menschen nahmen teil. Neben dem Oberbürgermeister und dessen Frau habe ich noch den Ersten Stadtrat Herrn Aden, den Superintendenten Phillip Meier, den Landtagsabgeordneten Dirk Adomat, vom Hamelner Rat Frau Echtermann und Herr Pfisterer gesehen.
Einzelbilder:
Bericht als PDF:
Ralf Hermes, 17.11.2019
Hier gibt es Hintergrundinfos zu der einen Schülerrede. https://projekt.ess-hameln.de/2019/11/18/rede-zum-volkstrauertag/