Hameln, 09.01.2024: von Günter Bialkowski
Liebe Leserinnen und Leser,
das neue Jahr 2024 beginnt keineswegs ruhig, die Überschwemmungen und die entstandenen Schäden machen uns gerade große Sorgen. Auch das Weltgeschehen macht keine Pause. Unsere innenpolitische Lage ist angesichts unserer Multikrisen nach wie vor prekär und unsere Politik steht vor der Frage, wie stark wird die AfD? Stehen uns doch in diesem Jahr drei wichtige Landtagswahlen ins Haus. Dabei stößt das Interesse der Parteien auch auf die große Gruppe der Alten in unserer Gesellschaft.
Zeit – sich einmal näher mit uns selber zu beschäftigen!
Wie und wo sehen wir uns in unserem eigenen Demokratie-Verständnis? Sehen wir uns als störrische unzufriedene Alte, als verwöhnte Wohlstands-Rentner, unpolitische Desinteressierte oder noch als verankerte, mit starker Milieu- und Parteibindung ausgestattete Minderheit die weiss, wo sie verantwortlich ihr Kreuzchen macht! Und wie stehen wir überhaupt zur AfD? Diese Frage wird drängender, auch wenn wir in diesem Jahr keine Bundestagswahl zu bestehen haben. Letztlich werden wir angesichts bedrohlicher Umfragewerte unsere Haltung zu dieser Partei selbstkritisch vor unserer Geschichte zu verantworten haben?
Wissenschaftliche Studien haben zu diesem Thema einen anderen Zugang. Und auch die demoskopischen Umfragen sind alarmierend. So hat infratest-dimap am 04. 01. 2024 zur Sonntagsfrage folgende Werte ermittelt: SPD 14%, Union 31%, Grüne 13%, FDP 5%, AfD 22%, Linke 4%, FW 3%. Und der ARD-Wahlexperte Jörg Schönborn stellte in seiner Nachwahl-Analyse zur letzten Bayernwahl fest, dass die AfD-Wähler in Bayern inzwischen die Partei nicht mehr nur als Protestpartei gewählt haben, sondern dass viele Bürger diese Partei aus innerer Überzeugung wählen. Interessant auch das Bild der Wählerwanderung. So wanderten von der CSU 90 000, von den freien Wählern 50 000, von der FDP 40 000, von den Nichtwählern 70 000 und von der SPD 20 000 zur AfD. Themenschwerpunkte waren die innere Sicherheit, die Asylpolitik und die Enttäuschung durch andere Parteien. Dieses Zahlenmaterial kann man bedrückend, ja beängstigend in Bezug auf unsere gespaltene Gesellschaft ansehen. Leider konnten hier keine Angaben über das Wahlverhalten unserer Altengeneration gefunden werden. Doch schenkt man den Worten von Ex-SPD-Chef Müntefering vom 26.12.23 im Deutschlandfunk glauben, dann sieht der ein großes Wähler-Potenzial für die AfD unter den Rentnern. Wörtlich sagte er: „Die Älteren würden erheblich darüber mit entscheiden, wie stark die AfD bei künftigen Wahlen werden wird.“ Unsere täglichen Nachrichten befeuern uns mit Horror-Meldungen über die Situation in drei ostdeutschen Bundesländern, wo im Herbst Landtagswahlen anstehen. Nach allem was man jetzt schon weiss, wird die AfD erhebliche Zugewinne machen. Mglw. wird sie in Thüringen sogar die stärkste Kraft noch vor der CDU werden. Dass dies in Deutschland einmal möglich sein würde, hätte ich noch vor ein paar Jahren nicht geglaubt!
Warum ist das so, wieso kann man bei unserer Geschichte mit persönlicher Überzeugung diese Partei wählen, bei allem Frust über unsere Altparteien ihr sogar Lösungs- Kompetenzen für unsere vielfältigen Krisen zumessen? Schaut man sich das PersonaI via Fernsehen im Deutschen Bundestag einmal genauer an, hört man außer Provokationen und aggressiven Sprech nicht viel! Was ist es also, was diese Partei für unsere gesellschaftliche Mitte so attraktiv macht? Denn es sind ja nicht mehr nur die Menschen an den Rändern die diese Partei nach oben katapultieren!
Wir Älteren, mit unseren Erfahrungen aus den 50 er Jahren, wo mit Duldung Konrad Adenauers unseres hochverehrten ersten Bundeskanzlers die Alt-Nazis wieder aus ihren Löchern kommen durften. Ihre alten Positionen wieder einnehmen durften, wir sollten aus unserer gesellschaftlichen Nische heraus treten und mit Würde gegen diese Entwicklung kritisch Stellung beziehen. Über all da, wo es uns noch möglich ist! Mit Genugtuung kann man jedenfalls festhalten, dass wir Alten bei den öffentlichen mehr oder weniger rechtslastigen Protest-Demonstrationen als Gruppe so gut wie nicht in Erscheinung treten. Aber vielleicht sollten wir dies auch mal in Erwägung ziehen. Für Freiheit und Demokratie kann man auch im Alter auf die Straße gehen, wie es uns Veteranen-Organisationen aus anderen Ländern vormachen. Und vielleicht wäre dies das Zeichen für unsere jungen Generationen, dass wir – die Alten aus den 50er Jahren – wirklich dazu gelernt haben!
Persönlich erwarte und wünsche ich mir, dass die forschende Wissenschaft in dieser Gemengelage öfter die Öffentlichkeit sucht und uns erklärendes Faktenmaterial zum besseren Verstehen dieser Entwicklung liefert. Wir können doch nicht noch einmal mit sehenden Augen die gleichen Fehler der Vergangenheit wiederholen! Mögen andere europäische Länder autoritäre Politiker oder Parteien in ihre Regierungen wählen, wir können dies nicht beeinflussen, sie haben immerhin keinen Holocaust zu verantworten! Es macht deshalb einen Unterschied, ob wir deutschen Wähler noch einmal durch demokratische Wahlen rechtslastige Parteien in die Regierungsverantwortung wählen.
Nutzen wir alle die Zeit bis zur Europa-Wahl, dass bis dahin noch viele Denkprozesse angestoßen werden können! Immerhin bestätigt durch Umfragen die große Mehrheit der Deutschen, dass sie die Demokratie für die beste Staatsform hält. Das gibt Hoffnung.
Günter Bialkowski