Hameln, 10.02.2024: Günter Bialkowski schreibt zum Thema: „Bunt statt braun“ Hamelner demonstrieren gegen Rechtsextreme im Bürgergarten!
Nun hat auch Hameln gleichgezogen. In einer großen Demonstration „bunt statt braun“ berichtete radio aktiv, dass am 10.02.2024 ca. 4 000 Menschen im Bürgergarten „Laut gegen Rechts – für sichtbare Solidarität, Vielfalt und Zusammenhalt in HM-PY“ demonstriert haben. Beeindruckend die große Zahl der Organisatoren. Vorab hatte schon in einem Interview in der DWZ Fr. Dr. Käßmann auf die große Bedeutung der Kundgebung hingewiesen. Nicht die Rechtsextremen sind das Volk, sondern die Demonstrierenden. Und – sie erhofft sich nun, dass viele ermutigt werden und nicht länger schweigen, sondern sich aktiv einmischen, wo immer es nötig ist! Oberbürgermeister, Landrat und Redner demonstrierten gemeinsam – ein großartiges Signal der Geschlossenheit.
Während immer mehr Menschen in der ganzen Republik auf Straßen und Plätzen friedlich demonstrieren, häufen sich die Kollateralschäden für unsere Demokratie! Größter Schaden könnte die schleichende Gewöhnung an rechtes Gedankengut, der populistische Provokationsstil und der Druckaufbau dieser rechten Akteure für unsere Demokratie werden und natürlich auch die Tatsache, dass wir uns als Gesellschaft uneinig sind, ob wir die Afd als Ganzes oder nur in Teilen verbieten wollen, sollen oder müssen. Und alle schauen in Richtung BVG und hoffen, dass die Richter und Richterinnen schon das richtige für unsere Demokratie entscheiden werden.
Vielleicht überfordern und überfrachten wir an dieser Stelle unsere Justiz, in der ja auch nur Menschen tätig sind, dazu mit einer Geschichte der besonderen Art, wenn wir an die Gleichschaltung des Justizapparates in der Nazizeit und die folgende schleppende Aufarbeitung ihrer eigenen Nazi-Geschichte denken. Gewiss, heute ist das BVG eine stabile Institution und damit auch die höchste demokratische Instanz. Doch sie ist und bleibt angreifbar. Schon hören wir aus der AfD und ihren völkischen Ablegern Zweifel, Ablehnung und den Ruf nach Auflösung der demokratisch legitimierten Sicherheitsdienste. Wer kann bei einer demokratisch errungenen Regierungsbeteiligung der AfD garantieren, dass sie das BVG nicht einer General-Überprüfung unterzieht (z. B. weil die Wahl u.a. durch Parteien-Proporz) zustande kommt. Oder sie greifen sich einzelne Richterpersönlichkeiten heraus, weil sie nicht deutsch genug sein könnten etc. etc. Irgendwelche Gründe werden sie finden.
Im Folgenden möchte ich mich mit dem Argument auseinandersetzen, ein Parteienverbot der AfD birgt zu viele Risiken, man muss diese Partei und ihre radikalen Akteure politisch bekämpfen. Diese These ist ja nicht neu und wird von Experten aller politischen Coleur, sogar von Verfassungsrechtlern und Journalisten bemüht! Aber wie soll dass geschehen? Wie effektiv kann dieser Kampf werden, wenn die AfD durch demokratische Wahlen bestätigt, erst einmal in einigen Bundesländern die Regierungsmacht errungen hat und nun die ersten Staats-Jobs und Posten an ihre Anhänger und Sympathisanten verteilen kann? Wie stabil wird die Elite der Mitte sein? Für unseren zivilen demokratischen Widerstandswillen wäre dies ein Probelauf? Sind wir darauf vorbereitet? Versuchen doch heute schon Rechte unsere gesamte Zivilgesellschaft vom Elternrat bis zum kleinsten Verein zu infiltrieren! Dabei benutzen sie zwei erfolgreiche Erzählungen: zum einen wird Deutschland/die Welt von dunklen und geheimen Mächten regiert und zum anderen gibt es keine freie Presse. Dazu kommt provokatives Auftreten, hasserfüllte Sprache-Alice Weidel: „Politiker hassen Deutschland“, Druckaufbau, Angst einflößen!
Und immer wieder lockt die Umkehrung der Opferrolle. Mutige Demokraten in allen Gliederungen unserer Zivilgesellschaft können mit Klagen-Androhungen überzogen werden, wenn sie nicht im Sinne der neuen Nazis funktionieren. Bemerkenswert mit welchem Sicherheits- und Nähe-Kalkül Rechtsaußen-Leute sich heute schon bei vermeintlichen Ungerechtigkeits- und Ausgrenzungsklagen bei deutschen Gerichten Erfolge ausmalen. Gibt es hier verborgene gegenseitige Sympathien, wie sie noch in unseren 60er Jahren vor kamen? Oder sind das Spinnereien und Allmachts-Fantasien. So wie die Vorbilder aus Nazizeiten als Haus- und Blockwarte vor denen unsere Eltern, Großeltern große Angst hatten, sie dann aber plötzlich real da waren und system-stabilisierend ihre Dienste anboten!
Als Letztes gehört die These von den demokratische Wahlen auf den Prüfstand. Ja, wir dürfen laut GG keine Partei, sofern nicht verboten, von demokratischen Wahlen ausschließen! Für mich zeigt an dieser Stelle unsere Verfassung ihre größte Schwäche ! Wer garantiert denn, dass sich die AfD im Zweifelsfall auch weiterhin verfassungstreu, rechtsstaatlich und demokratisch verhält. Dass mit dem „Einhegen“ einer rechten Partei, nämlich der NSDAP samt des Führers Adolf Hitler ist ja schon einmal mit schlimmsten Folgen für Minderheiten, Andersdenkende, unseren damaligen jüdischen Mitbürgern und später für ganze Völker kräftig daneben gegangen! Warum glauben heute schon wieder besonders konservative Demokraten (aber nicht nur diese), dass die AfD heute gegen Machtmissbrauch immun sei! Die nicht richtig aufgearbeiteten grauen Nischen im Konservativismus können wieder zum Einfallstor für erste Fraktionsbildungen und schließlich zum Faschismus führen. Ich bin mir sicher, dass auch wir einige Tucker Carlsons im Gepäck haben, die rechten Faschisten unsere freiheitliche Bühne ohne Not zur Verfügung stellen werden!
Diese Leute werden in jedem Falle unsere Demokratie verändern! Wohin die Reise gehen kann hat kürzlich der Recherche-Dienst Correctiv in Podsdam aufgedeckt. Es gibt im Dunstkreis der AfD Menschen die haben krude Ideen, die träumen heute schon von der legalen Machtübernahme. Als Kriegskind kann ich von Erfahrungen und Szenarien in Kriegs- und Nachkriegszeiten berichten, wie bei solchen Umbrüchen und Zusammenbrüchen plötzlich Dinge völlig aus dem Ruder laufen können, Hass und Gewalt eine Eigendynamik entwickeln und so für das Gemeinwohl unkontrollierbar werden.
Ich finde unsere heutigen demokratischen Strukturen sind für die kommenden Veränderungen nicht vorbereitet, insbesondere gilt es die Hitler-Rede von 1941 im Berliner-Sportpalast neu zu überdenken. Damals sagte dieser Massenmörder: Der Nationalsozialismus habe „In der Demokratie mit der Demokratie die Demokratie besiegt“. Das kann nur bedeuten: unsere demokratischen Wahlen heute sind ein strukturelles Sicherheitsrisiko. Und wenn, wie andiskutiert, ein AfD-Verbot dem BVG zu risikoreich erscheint, kann nur eine GG-Änderung die Lösung bringen! Wie aber stehen unsere demokratischen Parteien dazu? Ich empfehle in diesem Zusammenhang das Werk des Geschichtswissenschaftler Thomas Weber. In seinem Sammelband „Als die Demokratie starb“ äußern sich viele internationale Historiker und Historikerinnen, vielleicht können einige Erkenntnisse daraus unsere demokratischen Politiker zu schnellem Handeln motivieren! Die Umsetzung der Zeitenwende braucht frisches Denken und sie hat vor allem nicht mehr viel Zeit.
Günter Bialkowski
herral, 10.02.2024