Hameln, 08.07.2024: (#hamelnshafenpläne) Nach der Veröffentlichung der offiziellen Presseinfos der Stadtverwaltung und einer Zusammenstellung verschiedener Medienberichte nach der Pressekonferenz hier jetzt eigene Gedanken / Recherchen und Kommentierungen:
Zur Pressekonferenz:
Es war eine sehr gut gemachte Veranstaltung. Die Stadtverwaltung wollte den anwesenden Medienvertretern ihre Beweggründe erläutern und vor allem auch einen eigenen Eindruck vom Zustand des Wesermühlengebäudes ermöglichen. Dafür ließ sie sich Zeit und war mit verschiedenen Experten vor Ort. Sie stellte Schutzausrüstung (Helm und Taschenlampen) bereit und ermöglichte abgesichert den Zugang zum Gebäude für eigene Fotos und Eindrücke. Für Fragen standen Herr Griese und Herr Pfeiffer zur Verfügung.
Eigene Fotoaufnahmen von der Pressekonferenz und der Gebäudebegehung sind als Bildervideo hier zu sehen:
Eigene Bewertung:
- Mein erster Eindruck war „Was für eine coole Socke!“ oder etwas sachlicher: Da hat der Oberbürgermeister mit seinem Verwaltungsteam eine Entscheidung getroffen, die mit Respekt zu bewerten ist. Zwingend antun muss man sich das damit verbundene Risiko nämlich nicht. Hier das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen, spricht für Gestaltungswillen und Mut.
- Als Schattenseite der Kaufaktion ist die fehlende Bürgerbeteiligung anzusprechen. Immerhin geht es um erhebliche finanzielle Investitionen der Stadt, die ohne allgemeine Öffentlichkeitsbeteiligung beschlossen wurden. Es gab allerdings eine nichtöffentliche Beteiligung und Beschlussfassung des Rates der Stadt Hameln. Ein Alleingang des Oberbürgermeisters war die Entscheidung somit nicht. So lauten die Regeln des repräsentative Beteiligungsprinzips unserer Demokratie. Dennoch hinterlässt es bei mir ein unwohles Gefühl, denn mit ein wenig Zeit zum Nachdenken kommen Fragen auf, die ich gerne ausgeräumt hätte. In Grunde aber ist eine Diskussion zu einem Zeitpunkt, wo schon alles entschieden ist, unnötig. Dennoch hier die Gedanken:
3. Was ist mit dem Hochwasserschutz?
Die nach dem Abriss neu zu überplanende Fläche liegt nahe der Weser in einem Bereich, der vom LGLN als „Vorläufig gesichertes Überschwemmungsgebiet“ klassifiziert ist. Der Konflikt einer neuen Bebauung „Hafencity“ mit den Anforderungen für eine moderne Gewässerplanung, die den Flüssen mehr Überschwemmungsraum bieten sollte, liegt auf der Hand.
Ein Blick in den Hochwasserschutzplan Oberweser Teil II, Seite 71 folgende, 6.3.2 Hochwassergefährdung Hameln-Hafen zeigt eine Fotomontage mit der Überschwemmungsfläche.
Nach den Berechnungen würde bei einem „hundertjährigen Hochwasser“ der Bereich des Wesermühlengebäudes überschwemmt. Der Maßnahmenplan aus dem Jahr 2015 sieht vor, eine Hochwasserschutzmauer unmittelbar an der Hafenkante und somit auch am neu zu schaffenden Entwicklungsgebiet zu bauen. Die mittlere Höhe dieser Hochwasserschutzmauer wird mit 2,5 m angegeben. Die Kosten der vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen werden mit fast zwei Millionen Euro beziffert. Da der Retentionsraumverlust durch diese Maßnahmen rund 273,750 qm beträgt, sind die Kosten für den Retentionsraumausgleich mit zusätzlich rund 2.737.500 € beziffert.
Andere Kartenzeichnung:
Ob diese Vermarktungsrisiken in der nichtöffentlichen politischen Debatte behandelt worden sind, ist unbekannt.
4. Nun zu einem Umstand, den ich nach derzeitigem Kenntnisstand als Riesensauerei betrachte und hier aufzeigen will: Es geht um das Verhalten der Wirtschaft, konkret um die ehemaligen Eigentümer der Wesermühlen und den Käufer. Mit dem Verkauf an den „Investor“ entledigte sich die Firma ihrer Gebäuderestlast. Was den Investor damals tatsächlich zum Kauf bewogen hat, ist unbekannt. Im Raum steht immer auch der Begriff „Abschreibungsobjekte“. Laut Wikipedia „eine Sachinvestition mit dem Ziel, Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verursachen und damit das zu versteuernde Einkommen des Steuerpflichtigen temporär zu vermindern.“
Der erste Verkauf der Wesermühle erfolgte Anfang des Jahres 2016 an ein Schweizer Konsortium. Dem Vernehmen nach soll der Kaufpreis bei weniger als einer Million Euro gelegen haben. In dem DEWEZET-Bericht vom 31.07.2016 heißt es unter der Überschrift „Die Vorgeschichte der Wesermühle“: Den Kampffmeyer-Mühlen war es zunächst trotz intensiver Bemühungen längere Zeit nicht gelungen, einen Kaufinteressenten zu finden. Das Unternehmen beauftragte Planungsbüros, ließ auf eigene Kosten Nutzungskonzepte für eine fünfstellige Summe erarbeiten und ging selbst auf Investoren-Suche. Schon zu einem frühen Zeitpunkt hatte Manager Franz Engelke, der bei der GoodMills Deutschland GmbH mit Sitz in Hamburg für „externe Angelegenheiten“ zuständig ist, versprochen: „Wir wollen in Hameln keine Ruinen hinterlassen, sind deshalb sehr an einer einvernehmlichen Lösung mit der Stadt interessiert.“
Im Jahre 2024 zeigt sich, dass genau das passiert ist. Die öffentliche Hand ist jetzt gefordert, die Abbruchkosten zu übernehmen.
Unternehmenswebseite GoodMills Deutschland: https://www.goodmills.de/
Die noch im Internet aufzufindenden Architektenpläne des Büros „Kleine + Assoziierte Architekten BDA“ aus Hannover wurden auf Veranlassung der VK Mühlen AG im Jahr 2014 in Auftrag gegeben, um möglichen Investoren das Potential des Verkaufsgeländes aufzuzeigen.
DEWEZET vom 08.09.2024: https://www.dewezet.de/lokales/ozeanriese-am-hafen-A3Z2ACCAEYZF527E7472AZD36B.html
Großstadt-Flair an der Weser: So könnte die Wesermühle aussehen
Architektenentwürfe zur Nachnutzung der Wesermühle:
Zur Idee eines Pumpspeicherkraftwerkes im Silo des Mühlenbauwerkes gibt es hier eine Ausarbeitung aus dem Jahr 2017:
Die Wirtschaftlichkeitsberechnung damals war aber ehr negativ. So verstehe ich das Fazit auf Seite 123.
Zur Mühlengeschichte: Die beiden Wesermühlen wurden von Kurt Kampffmeyer Sen. 1926 übernommen, von denen eine im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Das heutige Betriebsgebäude wurde im Jahre 1949 neben dem vorhandenen Getreidespeicher am Hafen neu errichtet. Es wurde die damals modernste Technik eingebaut und die Wesermühle war die erste deutsche Großmühle mit pneumatischer Passagenförderung. In den 1950er und 1960er Jahren wurden umfangreiche Erweiterungen der Mühlen-, Mehl- und Getreidesilogebäude sowie der technischen Anlagen vorgenommen. Die Anlieferung des Getreides erfolgte durch Lkw, Bahn und Schiffe. Die Mühle hatte eine Vermahlungskapazität von 300.000 Tonnen pro Jahr, die Lagerkapazität umfasste 40.000 Tonnen Getreide, 10.000 Tonnen Mehl und über 2000 Palettenstellpätze. Etwa 75 % des Energiebedarfs wurden durch ein großes Wasserkraftwerk abgedeckt das Ende der 1980er Jahre grundlegend saniert bzw. neu gebaut worden ist. Das Wasserkraftwerk mit einer Leistung von etwa 2000 kW wurde Ende der 1990er Jahre an die Stadtwerke Hameln verkauft. In den folgenden Jahren wurden zahlreiche Produktionsanlagen stillgelegt und verkauft. Bis zum 1. April 2013 wurden hier jährlich 180.000 t Weizen, Roggen und Mais für den regionalen, nationalen, europäischen und internationalen Markt verarbeitet. Der Standort Hameln wurde am 1. April 2013 geschlossen und alle Maschinen /technische Anlagen sowie die Verbindungsbrücke über den Hamelner Hafen demontiert, da man so weit wie möglich sicherstellen wollte, dass nach dem Verkauf der Gebäude dort niemand wieder Mehl herstellt.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/GoodMills_Deutschland
Weitere Links zur Wesermühle:
DEWEZET Archiv:
Fotos: Die alte Wesermühle in Hameln – von den ersten Jahren bis zum Leerstand
Die Wesermühle ist verkauft: Konsortium will „viele Millionen“ investieren
Youtubevideos:
Ralf Hermes, 08.07.2024
Sehr gut recherchierter Bericht. Großes Kompliment!!!
VG, Karsten Holexa
Unser Ralf wächst über sich heraus – dabei ist er schon so groß! Ich teile das Kompliment.
Einspruch zur dargestellten Bewertung (s.o) des Silo als Pumpspeicherkraftwerk: In der Dissertation wird erst ab Seite 125 der Umbau des ehemaligen Getreidespeichers in ein Pumpspeicherkraft behandelt und kommt zu einer positiven Bilanz. Für ca.3,2 Millionen (Stand 2017) Investition könnten 100 fünfköpfige Haushalte mit regenerativer „Überschuss- Energie“ aus Wind und Sonne versorgt werden. Augen auf beim Überfliegen von Dissertationen! Außerdem wird an anderer Stelle die Bedeutung des Erhaltes von industriellen Bauten erwähnt. Das weithin sichtbare Silo prägt das Stadtbild seit Jahrzehnten, zugegeben nicht so heimelig wie eine Fachwerkbutze oder der Hut des Rattenfängers. Der Silo-Umbau würde übrigens nur 36% eines vergleichbaren Neubaus kosten!
Danke für den Bericht, insbesondere über die Hochwasserproblematik. Wie stellt sich die Stadt das vor? Entwicklung eines neuen „Quartiers“ und Hochwassergebiet beißen sich meines Erachtens. Die angedachten Pläne (2,5 m hohe Mauer zum Hochwasserschutz) sollten noch einmal überdacht werden. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, ggf. mit Fördermitteln, die Flächen nach dem Abriss der Gebäude zumindest teilweise der Natur zurückzugeben?
Was mir bisher als weitere Information fehlt, ist zumindest eine grobe Schätzung der Abrisskosten. Ich schätze sie auf einen zweistelligen Millionenbetrag, bin aber nicht vom Fach. Lagen dem Stadtrat bei seiner Entscheidung Zahlen zu den Abrisskosten vor? Falls nicht, wäre das ein großer Fehler gewesen – von Stadtverwaltung und Stadtrat.