Gastbeitrag: „Was ist los in Deutschland?“

Hameln, 06.09.2024: Günter Bialkowski schreibt zum Thema AfD und Wahlberichterstattung

Ja, nach der Wahl ist vor der Wahl. Und so wartet das ganze Land auf die Wahlentscheidung in Brandenburg. Und wer die Debatten, Kommentare und Leitartikel über die Wahlen in Thüringen und Sachsen gegen oder für die Ampel nicht mehr hören kann, der wird noch ein bisschen üben müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass mit dem Erstarken von AfD und BSW wir gesellschaftlich mit ständiger Aufregung leben müssen und es bald unregierbare Kommunen / Bundesländer geben kann, weil niemand mit diesen Parteien koalieren will. Oder vielleicht doch? Die AfD mit ihren demokratiefeindlichen Aktivitäten und völkischen Menschenbild will uns jedenfalls Normalität vorgaukeln und naiven Zeitgenossen erklären, dass ihr Programm die Lösung für unsere komplizierten Probleme ist. 

Fakt ist aber auch, dass sich eine gesellschaftliche Veränderung seit 2015 ankündigte. Seither schwelt die ungelöste Migrationsfrage und sie spaltet unsere Gesellschaft.
Wahl- und Demokratieforscher überrascht es heute nicht mehr, dass die AfD im Osten so starke Zustimmungswerte erringen konnte. Auch die Fragestellung, ob diese Landtagswahlen Protest- oder Überzeugungswahlen waren, ist geklärt. Nach der Wahl äußerten sich über das Ausmaß der autoritären Einstellungen der Bevölkerung in Thüringen die Soziologin Silke Van Dyk und der Politikwissenschaftler Andre Brodocz: „Fast 90 % aller AfD-Wähler ist Rechtsextremismus in der Partei egal.“ Etwas differenzierter sieht es in Sachsen aus. Beide Wahlergebnisse zeigen aber, die AfD sitzt fest im Sattel! Dies ist die messbare Veränderung in unserer Gesellschaft. Wer nun glaubt, der Westen unserer Republik sei in dieser Fragestellung besser dran, weil er eine stabile Mitte gäbe, der irrt.

Die Friedrich Ebert-Stiftung untersuchte in einer Studie von 2023 die Zufriedenheit und die Funktionalität unserer Demokratie. Ergebnis: Trotz vielfältiger Krisen, unsere Demokratie ist stabil! Aber, das war ein Wert von April 2023, inzwischen haben Politik und Parteien weiter an unseren Problemen gearbeitet und die Demokratie-Zufriedenheit ist nicht besser sondern schlechter geworden! Die Mehrheit ist bis in die Mitte hinein unzufrieden. Unsere Probleme werden als zu komplex wahrgenommen und unsere Spaltung wird größer. Die Repräsentative-Demokratie erweist sich nicht in der Lage, einen fairen Interessenausgleich herbei zuführen. Und so geht Vertrauen und Zusammenhalt in Deutschland weiter verloren!

In dieses Vakuum stößt sehr erfolgreich, auch digital gut vernetzt die AfD mit einfachen Lösungen auf breite Aufnahmebereitschaft, nicht zuletzt bei einem Teil unserer sich perspektivlos fühlenden Jugend. Doch seit Sonntag hyperventilieren die Parteien, Krisenbewältigung ist angesagt, weit weniger die Suche nach eigenen Fehlern, gar Politikversagen! Nach Markus Söder ist die Ampelkoalition Schuld am Erstarken von AfD und BSW. „Die Ampel ist eine rauchende Ruine im Osten“, sagt er und man müsse sich mit diesem tiefgreifenden Einschnitt in der deutschen Parteiengeschichte und Nachkriegsgeschichte auseinander setzen. Das ist großes Kino und so agieren seit Bestehen dieser Bundesrepublik CDU und CSU schon immer an der Wahrheit vorbei. Und wenn nicht wenige Journalisten und Medien diese Legende der C-Parteien weiter tradieren und heute die Brandmauer des Hr. Merz gegen Rechts und die Unvereinbarkeitsklausel gegen das BSW hoch halten, dann können die Menschen meiner Generation (Vorkriegsgeneration) mit Fug und Recht dagegen halten: Die einzige Partei die damals 1933 gegen den rechten Mob Stand hielt, war die SPD mit ihrem Vorsitzenden Otto Wels. Und auch das politische Geplänkel Konrad Adenauers mit schlimmsten NS-Tätern in seiner Regierungszeit gehört zur deutschen Geschichte dazu, sehr geehrter Hr. Söder!

Und so möchte ich alle gutmeinenden und naiven Bürger davor warnen, den C-Parteien im Kampf gegen rechts zu vertrauen. Was wir sehen und hören ist eindeutig genug: Friedrich Merz kann nur mit Mühe die konservativen Milieus in seiner eigenen Partei auf Linie halten. Im entscheidenden Moment und das war schon immer in der deutschen Geschichte so, werden die Christdemokraten wenn es um den Machterhalt geht auch mit der heutigen AfD zusammen arbeiten. Heute heisst das entscheidende Momentum: Wir müssen in Thüringen und Sachsen schnell stabile Regierungen zustande bringen. Dieser künstliche Druck soll uns glauben machen, dass CDU/CSU zum Wohle der Menschen, zur Stabilität unserer Demokratie das Richtige tun werden. Und sie suggerieren uns, wir werden aufpassen, wir werden den AFD-Spuk im Griff behalten. Doch das gleiche Verhalten hatten wir schon einmal in Deutschland, damals 1933. Das ging gründlich daneben, wie wir alle wissen. Und auch aus diesem Verständnis heraus wird die Ampelkoalition von konservativen Strömungen heute so stark attackiert. Ich glaube, etwas mehr Geschichts-Bewusstsein und Wachsamkeit täte uns allen gut, wenn wir das Erstarken bestimmter Parteien von den Rändern her aber auch aus den inneren Zirkeln unserer Parteien kommend analysieren und unsere Gesellschaft trotz vielfältiger Krisen und Problemstellungen zukunftsfähig erhalten wollen. Ja, es ist gerade viel los in Deutschland, aber der Rechtsruck beschäftigt in Europa auch viele Nachbarländer. Und die Zusammenarbeit gegen Populismus und rechte Bewegungen ist auch hier noch ausbaufähig.

Günter Bialkowski

unverändert übernommen. herral, 06.08.2024

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