14.11.2024: Birgit Wendling schreibt:
Habemus Wahltermin
Bei radio-aktiv höre ich heute, am 14. November 2024, dass die CDU/CSU laut der YouGov-Sonntagsfrage im November gegenüber dem Vormonat einen Prozentpunkt gewonnen und die SPD und die Grünen je einen verloren haben. Hat sich das Gezerre der letzten Woche um den Wahltermin also gelohnt? Ich finde nicht. Mir wäre es lieber gewesen, die Parteien hätten sich mehr mit Inhalten beschäftigt als mit Formalien. Klare Positionierungen, welche Partei konkret wofür steht, fehlen mir bisher. Ich warte auf den Wahl-O-Maten und hoffe, dass es einen geben wird.
Auf jeden Fall befinden wir uns schlagartig mitten im Wahlkampf, seit Bundeskanzler Olaf Scholz am 6. November 2024 Bundesfinanzminister Christian Lindner entlassen und die Vertrauensfrage angekündigt hat. Der Zeitpunkt dieser Ankündigung am Tag nach der US-Wahl war aus vielen Gründen ungünstig, der Wahltermin ist es auch. Viele fertig erarbeiteten Gesetze bleiben erst einmal und vielleicht für immer liegen. Innerhalb der EU schwächelt Deutschland mit einem Kanzler auf Abruf zu einem Zeitpunkt, zu dem ein starkes Deutschland gebraucht worden wäre. Winterwahlkämpfe sind sowohl bei den Wahlkämpfenden als auch bei den Wählerinnen und Wählern aus guten Gründen unbeliebt. Die taz hat am 12. November 2024 die treffende Überschrift formuliert: „Wahlkampf auf Weihnachtsmärkten“. Wollen wir das als Bürgerinnen und Bürger?
Ob die Vertrauensfrage Mitte Dezember 2024 oder Mitte Januar 2025 gestellt wird, ob die Wahl drei Wochen früher oder später stattfindet – natürlich ist Olaf Scholz seit seiner Ankündigung der Vertrauensfrage als Kanzler eine lahme Ente. Falls er wirklich gehofft haben sollte, dass die CDU/CSU staatstragend reagieren und ohne Gegenleistung noch das ein oder andere dringend notwendige Gesetz gnädig mit durchwinken würde, hat er sich geirrt. Alles hat seinen Preis, jedenfalls bei Friedrich Merz. Dieser wollte unbedingt zeigen, dass er ein ausgebuffter Verhandler ist, sozusagen ein „Dealmaker“.
War das Gezerre um die Termine der Vertrauensfrage und der nächsten Bundestagswahl schon ein Vorgeschmack auf eine durchaus wahrscheinliche große Koalition? Wird das vertrauensvoller und konstruktiver als bei der lang zerstrittenen und vielfach verrissenen Ampel? Ich bezweifle es. Gute Alternativen zu einer großen Koalition gibt es jedoch nicht. Ich hoffe nur, dass uns Christian Lindner als blasse Kopie der „schwäbischen Hausfrau“ das nächste Mal als Finanzminister erspart bleibt. Wenn uns die Ampel etwas gelehrt hat, dann dass drei Koalitionäre einer zu viel sind.
Disclaimer: Die Verfasserin ist stellvertretende Vorsitzende der SPD-Abteilung Klein Berkel.
Birgit Wendling
Hallo Birgit,
ich stimme dir in vielen deiner Analysen zu.
Einer widerspreche ich allerdings: Es geht auch mit 3 Koalitionären, es geht auch mit 4, usw. – es geht nur nicht, wenn einer der beteiligten ständig und mit Strategie versucht, die Koalition zu seinen Gunsten auszuhebeln.
Ch. Lindner ist aus den Verandlungen zur Koalition mit CDU und Grünen am 20.11.2017 ausgestiegen: „Es ist besser nicht zu regieren als…..“.
Welche Möglichkiet hatte er noch in 2021 bei den Verandlungen zur „Ampel-Koalition“?
Wieder aussteigen? Das hätte die FDP auf bundesebene als kompromissunfähig gebrandmarkt. Also hat man in den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag bei sozialen und Umweltthemen einigen Verabredungen zugestimmt, die dem FDP-Klientel eigentlich nicht zugemutet werden konnten, z. B. beim „Aus“ für fossiele Energieträger. Diese Verabredungen hat man dann in der Praxis „torpediert“.
Beispiel: Wenn wir uns das übele Gezerre beim sogenannten „Heizungsgesetzt“ anschauen, so wurden interne Absprachen immer wieder gebrochen (https://www.volksverpetzer.de/analyse/wahrheit-heizgesetz-fdp/). Das Kalkül in diesem Fall: Die Grünen sollten aus der Koalition aussteigen.
Je schlechter die Umfragewerte der FDP wurden, um so häufiger und intensiver wurde dieses Vorgehen.
Am Ende kam dann das FDP-Konzept zur „Wirtschftswende“ mit eigenem Wirtschaftsgipfel und die Reaktion vom Kanzler.
Es liegt nicht an der Anzahl der Koalitionäre! Es hängt an den Interessen der Beteiligten und ihrer Verantwortung, ob sie diese für die Gemeinschaft zurückstellen wollen.
VG, Karsten Holexa (parteilos)
Hallo Karsten,
grundsätzlich hast Du mit Deinem Einwand „Es liegt nicht an der Anzahl der Koalitionäre! Es hängt an den Interessen der Beteiligten und ihrer Verantwortung, ob sie diese für die Gemeinschaft zurückstellen wollen.“ recht. Tendenziell wird es aber nach meiner Erfahrung schwieriger, Kompromisse zu finden, umso mehr Beteiligte ihre Interessen wiederfinden wollen.
Die FDP ist bereits einmal aus dem Bundestag geflogen, was ein traumatisches Erlebnis war. Davor hatte sie offenbar größere Panik als vor dem Koalitionsbruch. Wir werden sehen, ob dieser Plan beim Wahlergebnis aufgeht.
VG, Birgit