Zeitzeugenbericht Nr. 2: Kriegskindheit. Günter Bialkowski berichte von Schule und Verschickung

Hameln, 06.07.2025: Lieber Günter, dein persönlicher Zeitzeugenbericht (Nr. 1) zur Kriegskindheit weckt Interesse an weiteren Erlebnissen/Erfahrungen aus der Zeit.

Magst du uns noch etwas zur Schulzeit oder zur Ausbildungszeit aufschreiben. Wie war der Umgang mit den Lehrern damals. Wie wurde man als junger Auszubildender angeleitet?

Antwort:

Um die Fragen nach Schulzeit und Ausbildungszeit beantworten zu können, lieber Ralf nehme ich dich und die interessierte Leserschaft mit in die Zeit Niederbayerns um 1941 bis 1945. Damals war Bayern nicht das reiche Land wie wir es heute kennen. Obwohl gerade Niederbayern ein Agrarland war. Dennoch musste es viele Evakuierte aufnehmen. Ich war getrennt von meinem Bruder bei einem Tagelöhner-Hof untergekommen. Der Hausherr war in der Nähe bei einer Textilfirma wohl als Näher für braune Naziuniformen beschäftigt. Das habe ich deshalb abgespeichert, weil ich von ihm eine kurze Knabenhose aus braunen Stoffresten maßgeschneidert geschenkt bekommen habe. Ich hätte sonst keine Hose mehr gehabt. Hier, bin ich wohl eingeschult worden. Wo die Schule war, weiss ich nicht mehr, jedenfalls weiter weg, musste viel laufen und auch an die Lehrerschaft kann ich mich nicht erinnern. Haften geblieben ist, dass der kleine Hof sehr einsam in der Landschaft lag und nur eine Kuh im Stall hatte. Und die Milchmenge und ob daraus Butter gemacht wurde, wurde von der Partei streng kontrolliert. Es herrschte Not, alles war rationiert. Eines Tages bemerkte ich etwas versteckt an einem Scheunentor genagelt ein kleines geschlachtetes Tier. Es sah aber eher nach einem Hund denn nach einem kleinen Kalb aus. Und dieses Tier haben wir dann alle gegessen.

Von hier ging es dann zusammen mit Bruder Hans weiter nach Oberbayern ins Inntal. Am Auerbach bei Niederaudorf fanden wir eine Bleibe, die Stiefmutter, eine junge Frau, von ihrer Rüstungsfirma in Leipzig freigegeben, war nun für die nächsten Jahre unsere einzige Bezugsperson. Wie ich schon sagte, sie war kein guter Mensch, das sollten wir alsbald zu spüren bekommen. Neben den Tieffliegerangriffen der Amerikaner ging nun von dieser Frau eine ständige Gefahr aus! Ob aus Überforderung oder Kalkül ihre einzige Erziehungsmethode bestand aus Drohen, Angstmachen und Prügeln. Mit anderen Worten, wir beide – Bruder und ich waren ihr schutzlos ausgeliefert. In Folge unserer isolierten Lebensweise, die sie so einrichtete, getrennt von den einheimischen Bauern, die aber auch Evakuierte mieden, gab es nun für uns außer dem Schulbesuch in Niederaudorf keine andere Kontaktperson, Anlaufstelle oder Kinderspielen. Man sollte heute allerdings wissen, dass die damalige Zeit hart und zum Teil sehr brutal war. Prügelnde Eltern und Lehrer gab es bis in die 50er Jahre. Man sprach einfach nicht darüber! Wie formulierte es der Führer einmal: „Die deutsche Jugend muss hart wie Kruppstahl u.s.w. …“  ich glaube einige kennen noch Text und Ton als auch den ins Mikrofon schreienden Führer. In der Schule in Niederaudorf gab es offenbar zwei Klassen in der alle Kinder Mädchen und Jungen, Evakuierte und Einheimische gemeinsam unterrichtet wurden. Erinnere mich noch genau an einen Tag, es muss etwa im Spätsommer 1944 gewesen sein, wo zwei junge Männer in Braunhemden mit Schulterriemen eine sehr junge Frau in unsere Klasse eskortierten. Alle klatschten Beifall und hoben den rechten Arm zum Gruß. Die Söhne der wenigen reichen Bauern hatten leckere Esssachen zur Begrüßung mitgebracht: Schinken, Käse, Würste und mehr. Mir drehte sich der Magen um, weil ich solche Sachen überhaupt nicht kannte. Jedenfalls war die junge Frau von nun an unsere Lehrerin und manch mal trug sie auch ihre BDM-Kleidung. Doch alsbald gab es keinen geordneten Unterricht mehr, Tieffliegerangriffe erfolgten fast täglich und die Fliegenden Festungen zogen hoch oben am Himmel mit ihrem monotonen Geräusch ihre weissen Kondenzstreifenp. Einmal habe ich sogar in der Nähe von Kloster Reisach wo gerade in einem Gasthof Schule stattfand, einen ersten deutschen Düsenjäger am Himmel gesehen. Der flog so schnell und tief in Richtung Kufstein / Innsbruck, das der Amijäger ununterbrochen schießend ihn nicht einholen konnte. Ich war so fasziniert, dass ich sogar meine Schutzdeckung im Gebüsch verlassen hatte. Unsere Zeit in Bayern lief im Spätsommer 1945 ab. Am Bahnhof Oberaudorf warteten ein paar Viehwagone mit einer handvoll frischen Strohs auf uns, das wars. Irgendwo an einer Wand hatte jemand mit weisser Kreide seinen Unmut gepinselt „Preissen raus!“ Dass wir damit gemeint waren, verstand ich erst später.

Über die Reise in das zerstörte Ruhrgebiet und die Anfänge in GE habe ich berichtet. Meine weitere Sozialisation und Ausbildung in GE ist als nächstes Thema.

Günter Bialkowski


Bericht Nr. 1 siehe:

Ein Gedanke zu „Zeitzeugenbericht Nr. 2: Kriegskindheit. Günter Bialkowski berichte von Schule und Verschickung“

  1. Danke Günter für diese persönlichen Einblicke: Ich musste beim Lesen an die Erzählung meines Vaters denken, der berichtete wie er als „Pimpf“ auf dem Weg von der Schule bei einen Tieffliegerangriff auf dem Dorf (er wurde im Bersenbrücker Land groß) in einen Graben voller Brennesseln gesprungen ist.
    Hatte mich als Kind damals stark beeindruckt. Heute kann ich die Schilderung anders einordnen. Ich hätte mal seine Erinnerungen aufschreiben sollen. Jetzt ist es zu spät.

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