06.02.1921: Major Gieren im Monopolsaal – zwei Berichte

Hameln: Die Niedersächsische Volksstimme berichtet in ihrer Ausgabe vom 06.02.1921 ausführlich über eine Veranstaltung des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes im Monopolsaal. Die DEWEZET veröffentlicht zeitgleich eine Kurzmeldung.

Leseabschrift:

* Der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (Ortsgruppe Hameln) hatte für gestern abend 8 Uhr nach dem großen Monopolsaal zu einer öffentlichen Versammlung eingeladen. Der für einen politischen Vortrag in Aussicht genommene Redner konnte jedoch nicht zu Worte kommen, weil die in Massen im Saale anwesenden Sozialdemokraten dieses durch Inszenierung eines ohrenbetäubenden Lärms verhinderten. Unter diesen Umständen blieb den Einberufern der Versammlung und ihren Anhängern schließlich nichts anderes übrig, als den Sall zu verlassen. Danach nahmen verschiedene Sozialdemokraten das Wort zu längeren politischen Reden. Ein Teil der Mitglieder des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes aber zog unter Absingen patriotischer Lieder nach dem „Bremer Schlüssel“.


Die Niedersächsische Volksstimme veröffentlichte am 6.02.1921 zu der Versammlung den folgenden Bericht:

Hameln und Umgebung

Hameln, den 5. Februar 1921

Bunter Abend im Monopolsaale.

Es war bunt, in der Tat, sehr bunt und der Abend war auch gut. Der angebliche „Deutsch“-völkische Lug- und Trugbund, sie nennen sich allerdings Schutz- und Trutzbund, hatte es gestern gewagt seine hetzerische verlogene Tätigkeit auch nach Hameln zu verlegen. Und ausgerechnet Herr Major Gieren war dazu berufen, die Versammlung zu leiten. Saal und Galerien waren dicht besetzt. Dem tapferen „wahrheitsliebenden“ Offizier mag aber beim Anblick der Versammlung sein treudeutsches Herz in den Hosenboden gefallen sein. lebhafte Pfuirufe, die dem Wahrheitshelden besonders und urpersönlich galten, begrüßten ihn als er die Versammlung eröffnete. Genosse Becker forderte sofort zur Geschäftsordnung eine bindende Erklärung darüber, daß nachher freie Aussprache gewährt würde und der Redner nicht über die Polizeistunde hinaus spricht.

„Selbstverständlich“ schnarrte Herr Gieren, als wenn er auf dem Exerzierplatz wäre. Aber er war ja Offizier und was es mit dem Wort solcher Leute und mit ihrer Glaubwürdigkeit auf sich hat, dafür gab Herr Gieren dann später einen Beweis, oder mehrere.

Der vorgesehene Judenfresser hat wohl auch die Vorsicht als besseren Teil gewählt, Hameln, das bekanntlich eine Automobilfabrik hat, mag ihm ein zu heißer Boden gewesen sein. “Schiebung, Schwindel“, ertönte es bei der Mitteilung Gierens über den Referentenwechsel und gleichsam um seine Wahrheitsliebe zu beweisen, gab der brave Vorsitzende den Ersatzredner der Wahrheit zuwieder als Schwerkriegsbeschädigten aus, eine Lüge, die so kurze Beine hatte, das der sie selbst sofort widerlegte und erklärte, er habe als Schlosserlehrling einen Berufsunfall erlitten.

Pfui Teufel, Herr Gieren. Herr Gieren log dann unter anderem noch einmal, als er die Behauptung des Redners, die Deutsche Presse stehe unter dem Einfluß der Juden und sei in ihrem Besitz, den Zwischenruf machte: „Niedersächsische Volksstimme.“ Herr Gieren hat schon einmal diese Unwahrheit vor Gericht gesagt und nachdem wir ihn dies widerlegt, wiederholt er sie also wider besseren Wissen. Er ist daher zu Recht in Bezug auf diese Äußerung von der Versammlungstribüne herab als Lügner bezeichnet worden.

Der Redner fing gleich mit flegelhaften Gemeinheiten und Beschimpfungen an. Ob er 10 zusammenhängende Sätze gesprochen hat? Jedes Wort war Gemeinheit. Das führte denn auch zu ungeheurerer Unruhe im Saale. Autohupen, Pfeifen und andere liebliche Musikinstrumente ertönten und „mit Zimpeln und lieblichem Schall“ wurden seine weiteren Ausführungen oft begleitet. Als er sich zu der Gemeinheit aufschwang, sich zu einer der antisemitischen Schmähschriften zu bekennen, in der eine bildliche Darstellung enthalten ist, worin man dem deutschen Arbeiter einen Ring durch die Nase gezogen hat, sie von Börsenjobbern knuten läßt, dann verließ allerdings die Versammlung die letzte Geduld. Man ließ den Redner nicht weitere sprechen, es erhob sich ein ungeheurerer Lärm und der Redner stieg herunter. Nun erklärte Genosse Schrader die Versammlung für geschlossen und nachdem Kamphaus gesprochen, wurde die Versammlung wieder eröffnet und dann erhielt Genosse Reichard das Wort, dem es auch gelang, sich Gehör zu verschaffen. Die Hakenkreuzjünglinge und Wahrheitsritter hatten sich zwar mit Rippenstößen und Radau aus dem Salle entfernt, dieser war aber noch sehr voll und nun konnte Reichard eine ganz gründliche Abrechnung mit der verlogenen Antisemitengesellschaft halten. Von ihm und dem Kommunisten Bemeiner wurde ganz besonders die verlogene Kampfesweise der Antisemiten gezeichnet, die um die eigentlich Schuldigen an unserem Volksunglück reinzuwaschen und zu schützen, alle Schuld den Juden in die Schuhe schieben möchten, die die Hohenzollern, Militaristen, preußische Etappenoffiziere und auch sehr christliche Kapitalisten, vor allem aber die konservativen und alldeutschen Kriegshetzer, haben. Die Abrechnung war sehr gründlich, schade, das sie von den Hakenkreuzlern und dem Herrn Major Gieren nicht mehr gehört wurde. So ist aus der antesemitischen oder „deutschvölkischen“ Versammlung eine sozialistische geworden, diese haben die Reklame, teure Saalmiete und sonstiges bezahlt., wir haben die Versammlung gemacht und obendrein noch Konzert, schöne Musik und Theater gehabt. Der Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerle, so hat ein streng konservativer nationalökonom einmal gesagt, ob sich der antisemitische Redner und insbesondere Herr Gieren in dieser bezeichneten Rolle gut gefallen haben? Nein, die Deutschvölkischen kommen nicht wieder nach Hameln, hoffentlich gibt man der Schwindelgesellschaft überall einen solchen Denkzettel.

Weitere Ausschnitte aus der Volksstimmenausgabe vom 6.2.1921:

Arno Reichard – Freisprechung im Gieren-Prozeß. 26.01.1921 – Hamelner Bote

herral, 7.2.2021

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