Hameln, 18.04.2021: Die Stadt Hameln hatte, den Aufruf von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier folgend, für Hameln eine zentrale Gedenkaktion auch in Hameln angekündigt. Die Pressestelle der Stadtverwaltung Hameln hatte mitgeteilt, dass Oberbürgermeister Claudio Griese, Bürgermeisterin Karin Echtermann und die Bürgermeister Gerhard Paschwitz und Volker Brockmann auf dem Rathausplatz schwarze Bänder an Holzstelen zum Gedenken an die Opfer der Corona-Pandemie anbringen würden. Dazu sollten die Glocken der Marktkirche – ein Glockenschlag für jeden Corona-Toten, der in Hameln beklagt werden musste, läuten. Insgesamt würden es 54 Glockenschläge sein.
Das Gedenken müsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit ablaufen. „Der notwendige Schutz vor Infektionen lässt uns keine andere Wahl“, begründete Griese das Vorgehen. Erst nach dem Ende der offiziellen Gedenkstunde, ab 13 Uhr, hätten Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, ebenfalls auf dem Rathausplatz der Opfer zu gedenken. Dabei müssten Besucher die Abstandsregeln zwingend einhalten. Die Holzstelen wurden in der Nähe des Rattenfänger-Brunnens aufgestellt und dienen laut Griese als „provisorisches Mahnmal“. Nach dem Ende der Pandemie solle ein würdiger Platz für einen dauerhaften Gedenkort gesucht werden. In der Ankündigung der Stadt vom 16.04.2021 hieß es weiterhin:
Rathauschef Claudio Griese stellt sich ausdrücklich hinter den Appell des Bundespräsidenten, auch auf lokaler Ebene an die Toten zu erinnern – obwohl die Pandemie noch nicht überwunden sei. Die unvorstellbare und unbegreifliche Dimension des Leids sei ein Grund, als Gesellschaft innezuhalten. „Wir wollen zeigen, dass unsere Gedanken bei den Opfern, bei deren Familien und Freunden sind“, sagt Griese. In der Öffentlichkeit werde die Corona-Pandemie häufig auf die reinen Fallzahlen und die Statistik reduziert, beklagt der Oberbürgermeister. Dabei stecke hinter jeder Zahl ein Mensch, der aus unserer Mitte gerissen worden sei. „Manchmal hatten die Angehörigen nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich zu verabschieden.“ Mit der offiziellen Gedenkstunde wolle die Stadt nun ein Zeichen setzen, „dass wir mit den Betroffenen fühlen und ihr Leiden nicht vergessen“.
Ich habe an der Gedenkstunde nicht teilgenommen, sondern stattdessen als stilles Zeichen nur einige Fotos von der Trauerbeflaggung verschiedener Hamelner Verwaltungen gemacht.
Bei Facebook wurde ich dann auf zwei Videoaufnahmen von der Trauerkundgebung aufmerksam. Hier hat Cengiz Altin, Panorama News, den Ablauf aufgezeichnet und auf Türkisch kommentiert.
Der erste Film dauert 14 Minuten und zeigt einen sehr kurzen Redebeitrag des Oberbürgermeisters und dann wie die Schleifen an die Gedenkpfähle gebunden werden. Danach werden vier Blumensträuße niedergelegt. Im Hintergrund abgesetzt sind eine Reihe Polizisten und dahinter etwa 8-10 andere Personen zu sehen. Es werden Fotoaufnahmen gemacht. Ein, zwei Zwischenrufe sind unverständlich im Hintergrund zu hören. Alle Akteure tragen eine FFP2 Maske. Im Hintergrund sind dann Glockenschläge von der Marktkirche zu hören. Mit Abschuss des letzten Glockenschlages beendet Herr Griese die Gedenkfeier.
Der zweite Film zeigt dann über gut 3 Minuten eine Szene, die sich nach der offiziellen Gedenkveranstaltung abgespielt hat.
Als erstes spricht eine Frau, die einen Kranz für Kinder, die in Not sind, die sich umgebracht haben, weil sie keine Perspektive mehr sahen, niederlegen möchte.
Als zweites spricht eine Frau, die einen Kranz für die alten Menschen niederlegen möchte, die in Einsamkeit und Isolation und, ausdrücklich betont, nicht an Corona verstorben sind.
Eine dritte Frau möchte mit ihrem Kranz der Verstorbenen, die ihre Behandlung im Krankenhaus verschieben mussten und für Menschen, die durch Unfälle verstorben sind, gedenken.
Der Redebeitrag für einen vierten Kranz wurde nicht aufgezeichnet.
Im Anschluss sieht man die vier Personen, von denen drei keine Maske tragen, die Kränze an den Holzstelen niederlegen. An den Kränzen sind selbst gefertigte Kranzschleifen mit handschriftlichen Sätzen zu sehen. „Gestorben durch fehlende Behandlung“ ist auf einer der Schleifen zu lesen.
Im Hintergrund ist Herr Janus, der potentielle Bundestagskandidat der Partei „Die Basis“ zu sehen, der mit dem Handy Filmaufnahmen der Rednerinnen fertigt. Herr Janus trägt einen großen Button und ein Shirt mit dem Aufdruck seiner Partei. Er beteiligt sich am Zurechtrücken der Kranzschleifen und ist augenscheinlich Teil der Aktionsgruppe.
Auf der Facebookseite des Hamelner Boten beschreibt dann einer der (externen) Zuschauer der Veranstaltung, dass Herr Janus die Polizei aufgefordert hätte, dass diese das Handy des Betroffenen kontrollieren solle, da er vermute, dass dieser Zuschauer Aufnahmen von ihm gefertigt und damit seine Persönlichkeitsrechte verletzt habe. Der Betroffene gibt dazu an, dass er einem Polizisten Einsicht in das Handy gegeben habe, um die Würde der Gedenkveranstaltung nicht zu stören. Er verweist aber auch darauf, dass der Bundestagskandidat der Partei „Die Basis“ durch sein Agieren Person der Zeitgeschichte sei, so dass Aufnahmen, wie aber auch Veröffentlichungen derselben, rechtlich möglich sind.
In der Telegramm-Gruppe Querdenken 515 „Hameln“ findet sich auf eine Nachfrage, ob von dort die Trauerfeier gestört worden sei, die folgende (hier unverändert abgedruckte) Erklärung von Antje B. :
„Wie kommst du darauf dass wir eine Trauerfeier stören? Wir hatten uns festlich gekleidet und Kränze gebaut. In Andacht haben wir an der Trauerfeier teilgenommen und das Vater unser gebetet. Nach dem Ende des offiziellen Teils haben wir uns mit dem Themenkranz Herrn Gieseke vorgestellt und ihn gefragt ob wir diesen zu den Blumen dazu legen dürfen. Dieses wurde befürwortet. Die Kränze waren: In Trauer um die Kinder, die sich selber umgebracht haben, Trauer um die an Krebs verstorbenen, Trauer um die Menschen, die alleine sterben mussten, die Unfalltoten, Trauer um die Menschen, die verhungert sind durch die Lockdowns. Danach eine Fürbitte für Hinterbliebenen und die Verstorbenen um Frieden und Trost“
Meine Meinung dazu:
- Die Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Corona-Toten ist in Hameln von Seiten der Stadt Hameln kurz und würdevoll umgesetzt worden.
- Hamelns Querdenken-Szene hat die Gedenkveranstaltung für ihre Zwecke missbraucht. Die Filmaufnahmen zeigen, dass hier Gegner der Corona Maßnahmen die Feierstunde nutzten, um ihre Botschaften zu transportieren. Pietätlos und inakzeptabel.
- Das Ziel solcher Aktionen ist es, ggf. auch durch Empörung, Aufmerksamkeit zu erregen. So versucht man einen Stellenwert für die eigene Position in Medien und Öffentlichkeit zu erzeugen. Es ist dann ein Spagat der Berichterstattung, ob und wie man hier „Hilfestellung“ leistet, bzw. aufklärt, was in unserer Stadt so alles passiert. Zwei Seiten einer Münze.
- Herr Janus ist als Initiator der Querdenken-Bewegung in Hameln so etwas wie eine „Person der Zeitgeschichte“. Es scheint hier mittlerweile Strategie zu sein, auf die Polizei zuzugehen und ein Einschreiten zu fordern, wenn es Widerspruch gibt oder wenn Fotoaufnahmen gefertigt werden. Es ist in solchen Widerstandskreisen dann ein oftmals genutztes Verfahren, gegen einzelne Beamte auch bei Kontrollmaßnahmen mit Dienstaufsichtsbeschwerden und Anzeigen persönlich vorzugehen. So soll Druck aufgebaut werden. Die Polizei aber ist nicht Partei einer Seite. Sie dokumentiert zunächst die Geschehnisse und leitet dann ggf. Folgemaßnahmen ein. Im Konfliktfall lässt sich für den betroffenen Bürger vieles besser im Nachhinein klären. Es gilt aufzupassen, dass es keine im Hintergrund „lachenden Dritten“ gibt. Maßstab, was für jede Seite zulässig ist und was nicht, ist allein das Gesetz. In Streitfällen entscheidet später das Votum der Instanzen/Gerichte.
Ralf Hermes
Die zweifelhaften Kranzschleifen wurden später entfernt. Die Kränze blieben liegen und bilden ohne ihren Zusammenhang ein ganz schönes Bild. So hat alles am Ende noch eine positive Seite.
Link zur (türkischen) Internetseite „Parnorama- News“: https://panorama-news.de/