„Nach langem, schwerem Leiden“ verstarb der Schriftleiter i.R. Arno Reichard am 15.06.1937. Es trauerten die Ehefrau Charlottemarie Reichard geb. Kolbe und der Sohn Arno Reichard.
Kranzspenden und Beileidsbesuche wurden sich dankend verbeten.
So zu entnehmen der Traueranzeige in der DEWEZET vom 15.06.1937
Arno Reichard wurde 66 Jahre alt. Im Folgenden versuche ich seine Geschichte zusammenzutragen:
Im historischen Archiv der DEWEZET finde sich in den Jahren 1934 = 0, 1935 = 56, und im Jahr 1936 = 19 Namenstreffer. Immer handelte es sich um Kleinanzeigen, in denen Arno Reichard „Schreibmaschinearbeiten, Zeugnis- und sonstige Abschriften, Vervielfältigungen, schnell, preiswert.“ anbot.
Teilweise waren es zwei Kleinanzeigen in einer Ausgabe. Es gab noch die Varianten „Rechtssachen, Rat und Hilfe, Klage, Briefe, Gesuche usw. “ wie auch „Steuersachen“. Immer wieder auch der Hinweis „auch sonntags zu sprechen“.
Die letzte Kleinanzeige erschien im Juni 1936
In der Nachkriegszeit gibt es dann einen ausführlichen Bericht in der DEWEZET vom 31.August 1971:
„Arno mit der Löwenmähne“
Erinnerungen an einen Hamelner Redakteur / Durch Straßenbenennung geehrt.
Der Beitrag nennt keinen Verfasser und ist der einzige, der ausführlichere Hintergrundinformationen über diesen für die Stadt doch sehr bedeutsamen Menschen gibt:
Laut Ratsbeschluß vom 23.02.1971 wurde demnach die Erschließungsstraße im Flurbereich „Im guten Ort“ als Reichardstraße als Erinnerung an den Redakteur der „Niedersächsischen Volksstimme“ benannt.
Dieses erfolgte anlässlich seines 100. Geburtstag am 31.08.1971 um sich des „aufrechten Mannes“ zu erinnern, der wegen seines Eintretens für Freiheit und Gerechtigkeit im Dritten Reich schweres erdulden musste. Vor 1933 sei Reichard eine „gewichtige“ Erscheinung gewesen, mit dichter krauser Löwenmähne und unverwüstlichem Humor jedem Hamelner Kinde ein Begriff. Ein Spazierstock aus starkem Eichenholz sei von ihm nicht wegzudenken gewesen. Dieser habe dem leicht gehbehinderten Manne nachts auf dem langen Heimweg nach Wangelist nicht nur als Stütze, sondern auch zur Selbstverteidigung gegen Überfälle gediente und sei vom Träger „Wangelister Tröster“ genannt worden.
Folgende Familiendaten werden genannt:
Geboren in Dresden als Sohn eines Prokuristen, herangewachsen mit sechs Geschwistern in „nicht gerade blendenden, aber geordneten Verhältnissen“. Schlosserlehre. Mit 19 Jahren (noch unter den Sozialistengesetzen) Eintritt in die SPD und die Gewerkschaft. Er machte sich bei der Dresdener Polizei unbeliebt, welche es fertigbrachte, ihn aus verschiedenen Arbeitsstellen zu vertreiben. Seine schriftstellerische Betätigung begann er als Prozesszuhörer, wodurch die Parteipresse auf ihn aufmerksam wurde.
1894 wurde Arno Reichard Redakteur in der „Sächsischen Arbeiterzeitung“. Hier erhielt er mehrfach Anzeigen, u.a. weil er die Polizei in einem Artikel die „Wohllöbliche“ genannt hatte.
„Im Jahre 1919 wurde Arno Reichard als Alleinredakteur an die damals neu gegründete „Niedersächsische Volksstimme, ein Parteiorgan der SPD, nach Hameln gerufen.“
Am 31. Oktober 1919 veröffentlichte er hier u.a. auch folgendes Gedicht:
In Wahlkampfzeiten habe Reichert für die SPD gesprochen und sich ansonsten auch um den geschäftlichen Teil der Zeitung gekümmert. Schon früh habe Reichard vor der „braunen Pest“ gewarnt und sich dadurch sogar mit seiner eigenen Partei zerstritten. Der Warner sei als „Schwarzseher“ abgetan worden. Die andere Seite hingegen habe die kämpferischen Qualitäten des Arno Reichard eher erkannt und man habe den „Hetzredakteur“ von der „Volksstimme“, der seinem Gegner trotz Herzleiden nichts schuldig geblieben sei, heftig befehdet. Die Niedersächsische Volksstimme wurde mit der Machübernahme der Nationalsozialisten 1933 verboten. Im Juni 33 seien SA-Männer mit Hilfspolizei-Armbinde erschienen, um Reichard in die sog. „Schutzhaft“ zu nehmen. Gemeinsam mit anderen Genossen sei er kurzerhand aus der Wohnung geholt worden. Am Nachmittag wurden alle, teilweise in Ketten, durch die Bäckerstraße zum Gefängnis an der Weser geführt. Eine johlende und schlagende Menge begleitete den Zug. Für Arno Reichard hatte man sich etwas Besonderes ausgedacht: Ein großes Schild um den Hals mit der Aufschrift: „Auch ich habe vom Arbeitergroschen gelebt!“
Über eine bescheidene materielle Existenz sei der sozial-demokratische Redakteur allerdings nie hinausgekommen. Die Überführung in das Konzentrationslager Mohringen blieb ihm erspart. Er wurde nach kurzer Zeit aus der „Schutzhaft“ entlassen, aber weiter überwacht und verfolgt.
Gesundheitlich zerrüttet und wirtschaftlich am Ende erlag Arno Reichard am 15. Juni 1937 einem Herzschlag. Er wurde in aller Stille im Urnenhain des Friedhofes an der Deisterstraße beigesetzt. Dort, so der unbekannte Artikelschreiber der DEWEZET, künde ein schlichter Grabstein von dem Redakteur, der nur ein Pionier der Arbeiterbewegung sein wollte und wegen seines aufrechten Charakters ein ehrendes Andenken verdient habe.
Im Stadtarchiv Hameln sind noch folgende Daten erfasst:
Arno Hugo REICHARD, geboren am 31.08.1871 in Dresden-Neustadt, verstorben am 15.06.1937 in Hameln, Daten zur ersten Eheschließung unbekannt, zweite Hochzeit am 28.05.1923 in Hameln mit Charlottemarie Kolbe. Laut Adressbüchern in Hameln wohnhaft:
In einem Hintergrundbeitrag der DEWEZET „Es wird ein paar Tage Krach geben…“ vom 3. Mai 2013 berichtet Bernhard Gelderblom:
„Die Nationalsozialisten vernichten die gesamte Infrastruktur, die sich die Arbeiterschaft seit dem Kaiserreich aufgebaut hat: neben den Parteien, die Gewerkschaften, soziale Einrichtungen wie die „Arbeiterwohlfahrt“ (Awo), mit der Niedersächsischen Volksstimme“ die Tageszeitung der SPD, die Konsum- und Spargenossenschaften sowie zahlreiche Sport- und Kulturvereine. … Am 10. Mai wird das Druckhaus der „Niedersächsischen Volksstimme“ samt Maschinen und Vermögen in der Heiliggeiststraße – heute das „Rosa-Helfers-Haus“ der SPD – ebenso wie das Parteivermögen von SPD und Reichsbanner beschlagnahmt. Karl Löffler, Geschäftsführer der „Hamelner Druckerei- und Verlagsgesellschaft GmbH“ und der Redakteur Arno Reichard werden festgenommen. … Am 18. Juni werden 22 SPD-Männer – teilweise in Ketten – vom Rathaus durch die Bäckerstraße zum Gefängnis geführt, ein Spießrutenlauf durch eine feindlich gesinnte Menge. Unter ihnen ist Arno Reichard, Redakteur der „Volksstimme“, der wegen seiner kämpferischen Artikel bei den Nationalsozialisten besonders verhasst ist. Er muss ein Schild mit der Aufschrift tragen: „Auch ich habe vom Arbeitergroschen gelebt.“
Als ein Beleg für das politische Wirken von Arno Reichard mag die Berichterstattung der DEWEZET vom 28. und 30.07.1932 gelten. Hier wurde Arno Reichard als Redner für eine sozialdemokratische Wahlversammlung angekündigt und der Verlaufsbericht dazu endet mit dem Satz: „Arno Reichard, der Redakteur der „Volksstimme“ kritisiert dann noch die örtlichen Verhältnisse der NSDAP.“
Die Redaktion der „Niedersäschsischen Volksstimme“ und damit der Arbeitsplatz von Arno Reichard war die Heiliggeiststraße. Hier ein Foto aus dem Jahr 1925.
Zum Sohn: Arno Reichard (Junior)
Der Sohn von Arno Reichard mit gleichlautendem Namen wurde vermutlich 1920 in Hannover geboren. Vielleicht handelt es ich hier um den Arno Reichard, der in der DEWEZET als Stadtoberinspektor in Hameln genannt wurde, der 1956 als Stadtdirektor nach Eldagsen wechselte und von dort 1963 als Stadtdirektor nach Baumholder (Pfalz) ging.
Homepagebeitrag als PDF-Dokument:
Zwei weitere 1919 veröffentlichte Gedichte:
Aktualisierung vom 26.04.2021
3 Gedanken zu „Wer war Arno Reichard? (Verstorben am 15.06.1937 in Hameln.)“