Das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für Bernhard Gelderblom – Der Bericht zum Festakt.

Hameln, 29.11.2022 – Eigener Bericht: Am 21. 11.2022 hatte ich die Ehre, an der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes für Bernhard Gelderblom teilzunehmen. Ein Verlaufsbericht:

Gut 70 Menschen füllten die Sumpfblume. Als Intro spielte der Musiker Roman Telepenko aus der Ukraine auf der Balalaika ein altes ukrainisches Volkslied. Ein Lied über eine Frau, die morgens am Fenster steht und wartet. Wartet, dass die Sonne aufgeht. Vergeblich.

Hamelns Oberbürgermeister Claudio Griese trug die offizielle Amtskette. Ein klarer Kontrast zum Ambiente der Sumpfblume, die nun dezent, aber durchaus festlich geschmückt war. Herr Griese verwies auf den Umstand, dass Herr Gelderblom bereits im Jahre 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt wurde. Es sei ausgesprochen selten, dass einer Person zweimal das Bundesverdienstkreuz, diesmal eine Stufe höher, erster Klasse, verliehen wird. Im folgenden begründete Herr Griese diesen besonderen Akt, der in den fortgesetzten Tätigkeiten und der ungemeinen Fleißarbeit des Geehrten in den seitdem vergangenen 14 Jahren begründet liegt. Der Oberbürgermeister wies auf einen Teil der Publikationen und Ausstellungen hin, die es ohne die Beharrlichkeit von Bernhard Gelderblom nicht gegeben hätte. Alles zusammen hätte nun dazu geführt, dass der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 19.06.2022 die Ehrenurkunde unterschrieben hat. Dass der eigentliche Ehrungsakt anders als gewohnt nicht im Hochzeitshaus, sondern in der Sumpfblume stattfinde, war u.a. ausdrücklicher Wunsch des zu ehrenden. Es folgte die feierliche Übergabe der Urkunde und das Anstecken des Ehrenkreuzes.

Für die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten sollte Dr. Keller sprechen, dieser musste aber kurzfristig wegen Krankheit absagen.

Es sprach dann Alexander Remmel, Geschäftsführer der Bückeberg-gGmbh, ans Mikro. Er erinnerte an die für den Landkreis und die Region prägende Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte. Gelderblom habe die Individuen, den konkret mit Namen benannten Menschen in den Mittelpunkt seiner historischen Arbeit gerückt. Bemerkenswert seien auch die engen persönlichen Beziehungen, die so er besonders auch ins Ausland geknüpft habe. Er habe den Menschen bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte mit viel Empathie zur Seite gestanden. Gelderblom sei allen entgegengetreten, die einen Schlussstrich wollten. Er sei wichtiger Impulsgeber und Referenz auch für aktuelle Debatten etwa zur Flüchtlingsthematik. Teils heftige, direkt an ihn gerichtete Anfeindungen habe er neben der sonstigen Kritik ertragen müssen. Zu wünschen wäre eine deutliche Unterstützung durch die etablierten Kräfte zu dieser Zeit gewesen.

Es folgte eine kurze Erinnerung von Herrn Diekmann, die mit dem Brecht Zitat endete: „Er hat Vorschläge gemacht, wir haben sie angenommen. Alle sind geehrt.“

Anschließend eine Rede des Geehrten. Auszüge und Eindrücke:

Zunächst die Dankesworte an Wegbegleitende und Unterstützer bei der Pflege der Hamelner Erinnerungskultur. Ganz wichtig war ihm der Dank an die Familie. Hier blickte durch, dass Engagement auch einen Preis hat. Der ausdrückliche Dank und die Freude, dass seine drei Kinder mit ihren Kindern heute da waren, wurde mit einem kleinen Nebensatz ergänzt. Den Satz vom Vater, der nicht so viel Zeit für sie gehabt hatte.

Dass seine Frau aus seiner Sicht ihn auch erdulden musste, benannte er. Dass sie dennoch an seiner Seite lebt und ihn vor zehn Jahren in den schweren Zeiten der Bückeberg-Angriffe ermutigte, nicht hinzuwerfen, wohl wissend, was das bedeutete – die Dankbarkeit des Geehrten dafür kam deutlich rüber.

Dann aber wandte sich der Redner seinen Herzblutthemen zu. Er beschrieb die ihn prägende eigene Kindheit mit der Liederinnerung „Maikäfer flieg“ und „Pommernland ist abgebrannt“. Erste Kontakte mit der Geschichte, begleitet von einem Vater, der ihn nationalsozialistisch zu erziehen versuchte. Das erste Ertasten der Abgründe des eigenen Deutschseins, den Vorsatz fassend, den Schmerz der anderen begreifen zu wollen.

Als Lehrer angekommen in Hameln im Jahr 1976 dauerte es einige Jahre, bis ihm die Abwesenheit jeglicher sichtbarer Erinnerungskultur aufgefallen sei. Irgendwann entschloss er sich, eine „Heimatkunde des Nationalsozialismus“ zu erarbeiten.

Im Laufe der Jahre erschloss er sich und der Stadt das Schicksal der Juden. Er setzte sich für die Realisierung eines würdigen Erinnerungsortes in der Bürenstraße ein, formulierte Tafeltexte und begann, die Namen der jüdischen Opfer zu ermitteln. Damals waren es 99. Mittlerweile sind 111 Schicksale bekannt.

Die Namen der Opfer waren ihm wichtig. Mit dem eigenen Namen angesprochen zu werden, sei die Grundform der Anerkennung eines Menschen. Die Auslöschung des Namens sei in der Zeit der Sklaverei, wie in der NS-Zeit, ein Akt der Dehumanisierung gewesen. Die Namen zu ermitteln, ihrer zu erinnern, rufe eine Individualität wieder auf, die das Massengrab vernichten wollte. 1.777 Namen umfasse die Sammlung, die er bis heute zusammen mit seinem Weggefährten, dem Historiker Mario Keller-Holte, habe erarbeiten können.

Zu der Arbeit gehöre aber auch eine Mappe mit anonymen Beschimpfungen, die er bewahrt habe. Auf dem Höhepunkt im Jahr 1994 sei über Monate der Staatsschutz Begleiter seiner Veranstaltungen gewesen. Das habe sich dann beruhigt, bis neuerdings wieder die Ausstellung „800 Jahre jüdisches Leben in Hameln“ erneut unter Polizeischutz habe stattfinden müssen.

Es folgte die Erforschung der Schicksale der Häftlinge im Zuchthaus Hameln. Über 800 der knapp 10.000 Männer kamen ums Leben.

Ein weiteres Thema war die wissentlich vergessene Gruppe der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Diese sind mit 671 Opfern nach den Zuchthausgefangenen die zweitgrößte Opfergruppe in Hameln-Pyrmont.

Weitere Opfer waren Kranke und Behinderte, die als Erste in Gaskammern getötet wurden. Hier ergab eine Recherche in der Euthanasiegedenkstätte Lüneburg erst vor wenigen Wochen, dass 17 Kinder aus dem Landkreis dort eingeliefert worden waren. Acht seien mit Sicherheit dort ermordet worden.

Und dann gäbe es noch die Gruppe der Täter und Zuschauer. Der Bückeberg als monströse, geschmacklose Massenveranstaltung habe in seiner Arbeit nie die erste Rolle eingenommen. Hier hätten ihn allerdings die teilweise rüden Angriffe aus Emmerthal weniger verletzt als die fehlende Verteidigung der Menschen aus Hameln.

Eine Leerstelle, eine dunkle Abseite aller Gedenkkultur sei die bisher für Hameln unergründete Mittäterschaft der Vielen, des respektablen Nachbarn wie auch des Onkels, des Opas.

Als ein Beispiel benennt Gelderblom Dr. Otto Müller-Haccius, einen von 1945-1949 untergetauchten Kriegsverbrecher. Diesem sei es in Hameln gelungen, gesellschaftliches Ansehen auf vielen Ebenen zu erhalten. Auch als Gelderblom die Geschichte des Mannes aufdeckte und im Jahrbuch für niedersächsische Landesgeschichte 2021 veröffentlichte, blieben öffentliche Konsequenzen in den Organisationen aus.

Gelderblom machte deutliche, dass, wenn Erinnerungsarbeit Wegschauen, Ahnungslosigkeit und Trägheit angreift, diese störe. Die Ablehnung, die daher Menschen seiner Person gegenüber entgegenbrächten, müsse er aushalten.

Gelderblom nannte nun noch einige aktive Projekte, die der Entscheidung in Politik und Verwaltung harrten. Seine Worte seien auch keine Abschiedsrede, auch wenn er bedauere, keinen Nachfolger zu haben. „Was wird aus meiner Arbeit und meinem umfangreichen Archiv?“ lautete seine Frage.

Sicher sei, dass es angesichts der zunehmenden Diversität der Gesellschaft ein Erinnern für die Zukunft brauche. Eine Gegenrede zum Wahn von Homogenität, Nationalismus und Aussonderung.

Seine Mahnung zum Schluss: „Unserem ritualisierten Erinnern fehlen nicht selten das Erschrecken und die Verstörung. Mögen wir den Nationalsozialismus dicht bei uns behalten, mit Sensibilität und Fürsorglichkeit gegenüber den Opfern. Den Schmerz der Anderen zu empfinden, mag unmöglich sein, aber ihn zu begreifen, ist ein realistisches und notwendiges Ziel.“

Die Veranstaltung endete mit Klängen der Balalaika von Roman Telepenko und vielen herzlichen Gratulationen an den Geehrten.

Bildervideo:

Ralf Hermes, 28.11.2022


Bericht bei radio aktiv:

https://www.radio-aktiv.de/2022/11/22/hameln-bernhard-gelderblom-bekommt-zum-zweiten-bundesverdienstkreuz/

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