Gastbeitrag: Leserbriefe – gewolltes Auslaufmodell?

Hameln, 19.03.2023 von Günter Bialkowski:

Liebe Leserin, lieber Leser, ich weiß nicht wie es Ihnen ergeht, aber mir fällt schon seit einiger Zeit auf, dass unsere Heimatzeitung DEWEZET immer weniger Leserbriefe veröffentlicht. In der Wo-End-Ausgabe vom 18.03. 23 waren es gerade mal drei Leserbeiträge. Wie kann das sein? Läuft da gerade was aus dem Ruder? Ziehen Online-Angebote mit ihren vielfältigen sozialen Foren immer mehr Leserautoren von den heimischen Tageszeitungen ab? Ist das Engagement der Leser, selber am öffentlichen Meinungsbildungsprozess vor Ort und an der Gesellschaft mit zu wirken erschöpft? Oder ist das von der DWZ-Redaktion betriebene Geschäftsmodell für potenzielle Leserbriefschreiber nicht mehr attraktiv? Ich erinnere mich an Zeiten, da quollen die Leserspalten in der DWZ über von Leserbriefen. Das Interesse und die Vielfalt waren riesengroß und manchmal auch die Leidenschaft und die Erregung mit der hier nach Art. 5 GG Meinung gemacht, Lokal- und Bundespolitik kritisiert oder auch öffentlich gelobt wurde.

Warum also schrumpft dieser Kommunikationsraum für den Bürger, der zugleich Konsument und Endverbraucher des in die Jahre gekommenen Zeitungskunstruktes freier Verleger ist? Ich glaube wir haben es hier mit einem Fragenkomplex zu tun, der mit dem allgegenwärtigen „Zeitungssterben“ am besten umschrieben ist. Auch die DWZ kämpft seit Jahren mit sinkenden Tagesauflagen, das kann niemand in der Branche mehr schön reden. Dabei sind sich Verleger und Journalisten weitgehend einig, der Feind der Tageszeitung ist das Internet. Wenn sie sich da aber mal nicht täuschen! Es gibt nicht wenige Experten, die das heftigst bestreiten. Aus diesem Dilemma ergeben sich leider für den potenziellen Leserbrief-Autor ein paar sehr unangenehme Regeln, die ihm den Zugang zur Veröffentlichung seiner Meinung, seines Kommentars sehr erschweren!

Ich frage mich schon länger, sind die sieben Regeln der DWZ-Redaktion überhaupt gerechtfertigt? Für nicht wenige Senioren, die in ihrem Leben bisher nie mit der modernen Computer-Welt, I Pad und Internet in Berührung kamen bedeutet der Druck ab sofort in die Online-Digitalisierung einzusteigen, das vollständige Aus überhaupt noch die eigene Meinung veröffentlichen zu können! Da viele der Online-Technik nicht mächtig sind, kann es doch nicht sein, dass unsere Zeitungsverlage, Verleger und Redaktionen die privat organisiert sind, solche Machtstellung in unserer Demokratie einnehmen können! Was also sollen die Redaktions-Vorgaben bewirken, wenn sie den Auflagen-Rückgang der Zeitungen nicht aufhalten können? Von unseren Jugendlichen greifen ja auch nur noch jeder zweite zur Tageszeitung (Cicero, Das Konstrukt Tageszeitung ist überholt).

Die Antwort auf diese Frage verweigert die Redaktion der DWZ ihren Lesern und Leserinnen bisher beharrlich! Professor Klaus Meier, Lehrstuhl für Journalistik, prognostiziert: wenn der Auflagen Rückgang so weiter verläuft, wird im Jahre 2034 in Deutschland die letzte gedruckte Tageszeitung erscheinen (e.b.d.). Möglicherweise ist es dieser Druck, der die DWZ-Redaktion zu solchen Vorgaben veranlasst. Statt den tatsächlichen Grund dieser Entwicklung, den Relevanz-Verlust einzugestehen und mit innovativen Lösungen anzugehen, sind es hier die Leser und vor allem die Generation der Alten die als erste zu Verzicht aufgerufen werden! Dieses Handling einer Minderheit, einer betuchten und in diesem Wirtschaftssystem reich und einflussreich gewordenen Minderheit kann so nicht hingenommen werden! Das wirklich fatale an dieser Entwicklung aber ist das Nichtstun unserer Politik. Wo sind hier lokale oder Bundes-Politiker aufgefallen, die sich dieser Thematik angenommen haben? Wenn Art. 5 GG durch wirtschaftliche Interessen der Verlage und Geschäftsmodelle der Verleger und Eigentümer unter die Räder kommt, der einzelne Bürger, Leser und Leserbriefschreiber ihre Meinung in den Printmedien nicht mehr veröffentlichen können, dann müßten eigentlich überall die demokratischen Alarmglocken läuten! Der allgemeine Ruf nach mehr und schneller Digitalisierung stößt hier, aber wohl nicht nur hier an seine Grenzen. Modernisierung kann m.E. nur gelingen, wenn alle Bevölkerungsgruppen mitgenommen werden!

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, diesen Beitrag durch eigene Erfahrungen und Einsichten ergänzen möchten, käme vielleicht Bewegung in diese festgefahrene Situation. Danke!

Günter Bialkowski


veröffentlich am 19.03.2023

3 Gedanken zu „Gastbeitrag: Leserbriefe – gewolltes Auslaufmodell?“

  1. Die sogenannten „sozialen Medien“ verändern die ganze Medien-Landschaft enorm und wahrscheinlich irreversibel. Wer sieht schon noch einen jungen Menschen mit einer Tageszeitung unterm Arm oder vor der Nase? Mit jeder Todesanzeige in der Dewezet ist zwangsläufig auch ein Abonnent verloren gegangen.
    Zu den Leserbriefen: Ab und an, wenn es im Kopf und den Fingern besonders kribbelt, schreibe ich einen Leserbrief. Die Dewezet hat bisher mein Geschreibsel immer veröffenlicht. Teils nach 3 Wochen, wodurch ein Bezug zu einer aktuellen Berichterstattung gar nicht mehr möglich war.
    Man kann auch nicht mehr auf einen anderen Leserbrief mit einem Leserbrief antworten, was früher einmal möglich gewesen sein soll. Liken geht auch nicht. Also schon wieder ein Punktsieg für die „sozialen Medien“. Ein Leserbrief pro Monat, keine Äußerungen „politischer Gremien“ – was soll das ? Dafür lieber 5 Seiten Fußball ! Für jeden verbeulten Kotflügel, eine brennende Mülltonne, einen Schandfleck gibt es einen Halbseiter. Attraktivität sieht anders aus.

  2. Es ist schon so, wie Herr Bialkowski vermutet und mir ebenfalls aufgefallen ist. Leserbriefe sind bei der Zeitung nicht mehr gefragt, obwohl gerade diese für andere Leser interessant sind. Geben sie doch die ungeschminkte Meinung der Menschen wieder, die nicht den Journalismus erlernt haben, sondern „frei von der Leber weg“ schreiben. Sind zu einem Thema besonders viele Briefe eingegangen ist es in Ordnung, zu selektieren, dies wird auch jeder Schreiber der Leserbriefe verstehen. Im Übrigen wäre es angebracht, amtliche Mitteilungen auch für die Menschen freizuschalten, die die Dewezet nicht abonniert haben, sondern sporadisch im Einzelhandel kaufen. Beispiel:
    Die auf bestimmten Straßen/ Innenbereichen der Städt verhängten Böllerverbote sollte man in Internet lesen können, genau wie auch Gefahrenwarnungen (zur Information der Betroffenen). Es gibt noch Zeitungen, die diese Artikel zum Lesen frei geben, den Rest der Artikel jedoch nicht. Gute Möglichkeit viele Menschen zu erreichen, wenn es darauf ankommt.
    Aber auch d a s muss gewollt sein, wichtige amtliche Infos dem Kommerz gegenüber eine übergeordneten Stellung einzuräumen und damit eine Verantwortung zu übernehmen.

Schreibe einen Kommentar zu Thomas Hülsen Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.