Gastkommentar: Zu „So sterben Demokratien“ Interview mit Frank Werner, DEWEZET vom 03.04.2023

Hameln, 04.04.2023: Günter Bialkowski schreibt zum Artikel der DEWEZT (Interview mit Frank Henke) über einen anstehenden Vortrag mit dem Chefredakteur von ZEIT-Geschichte im Kunstkreis Hameln:

Link zur Onlineausgabe des kommentierten Beitrages: https://www.dewezet.de/region/hameln_artikel,-interview-so-sterben-demokratien-_arid,2797170.html


Der Autor und Journalist Frank Werner bearbeitet in seinem Interview in der Dewezet ein Thema, worüber die Forschung seiner Meinung nach immer noch streitet.
Bin mir nicht sicher, ob er da richtig liegt? Die Weimarer Demokratie, unsere erste Demokratie in Deutschland ist m. E. gescheitert weil niemand sie wollte und das ist weitgehend anerkannter Konsens! Die fehlende Akzeptanz, aufkeimender Extremismus, letztlich die Machtergreifung Hitlers besiegelten neben anderen Faktoren den ersten Versuch der Deutschen den eigenen Obrigkeits-Staat zu überwinden! 

In der Folge stellt er die Frage, ob es heute Parallelen zu damals gibt? Hier sieht der Journalist vor allem den Mangel an Vertrauen in der Bevölkerung gegenüber der Politik! Er zitiert: „Demokratie ohne Demokraten“ und liegt damit im Trent der Forschung. Seinen Einstieg in die Befindlichkeiten des Ostens Deutschlands in dieser Frage teile ich nicht. Auch nicht die Hypothek der Niederlage des 1. Weltkrieges in ihrer übertriebenen Wichtigkeit, sowie der Hinweis auf Amerika! Alles das kann man m. E. als Erklärung der Katastrophe heran ziehen, aber man sollte andere, wichtige Erkenntnisse und Faktoren nicht ausblenden! Die Rolle des Bürgertums und der Wirtschaft z. B. in der Zeit der Zwanziger, Anfang der 30er Jahre bekommt in seinem Dewezet-Beitrag nicht die Bedeutung, die ihr nach heutigem Wissen zukommen sollte! 

Das Bürgertum verlor damals seinen kulturellen und ökonomischen Einfluss auf die Gesellschaft. Und die Wirtschaft ( Ruhrbarone und Stahl-Giganten) diente sich zusammen mit dem Finanzkapital schon vor der Machtergreifung Hitler an! Die Frage der traditionellen Eliten und ihr Agieren in dieser Zeit wird von Nicht-Deutschen Autoren stärker hervor gehoben. Hier schwächelt Frank Werner gewaltig!

Werner schreibt in Bezug zu heute:  „ Die Demokratie ist bei uns eng verbunden mit wirtschaftlichem Aufschwung und Wohlstand. Dies ist ein großer Unterschied zu Weimar.“
Ja, hier werden ihm viele Menschen zustimmen! Die soziale Not haben wir gebannt! Nicht aber die Macht-Konstellation! Hier sehen nicht wenige Bürger Parallelen zu damals, unsere Wirtschaft hat schon wieder so viel Macht angehäuft, wie einst die Herren Emil Kirdorf und Fritz Thyssen. Und Kapital steht ebenfalls zur Verfügung! Man mag sich gar nicht vorstellen, was in Deutschland passieren könnte, wenn der Transformations-Prozess der Wirtschaft in Verbindung mit anderen Krisen und Verschwörungs-Theorien zu einer Verarmung und somit zur Radikalisierung breiter Bevölkerungs-Schichten führen wird! Ein Journalist und Historiker der sich mit der jüngsten deutschen Vergangenheit beschäftigt, sollte an dieser Stelle den Journalisten Hans Kudnani nicht ausblenden. Er warnte schon in den 90er Jahren vor dem deutschen Wirtschaftsnationalismus!  Und unser Umgang mit dem damals maroden Nato-Staat Griechenland ging rapide in die falsche Richtung!

Bleibt als letztes das Schwarz-weiss-Foto vor dem Hamelner Hochzeitshaus. Als Zeitzeuge sind mir ähnlich düstere Bilder aus dem Ruhrgebiet von damals in Erinnerung! Diese dunklen Menschen-Massen, geordnet in Reih und Glied, strahlen vor allem Furcht und Angst aus. Der Einzelne, das Individuum in Freiheit und Würde ist hier längst von Hitlers Machtapparat abgeschafft, in den mystisch verherrlichten Volkskörper gezwungen! Nichts erinnert mehr weder hier in Hameln noch sonst wo in Deutschland an die Freiheiten der Weimarer Republik. Und so ist es vor allem die Angst der Menschen nur nicht aufzufallen, die aus solchen finsteren Bildern sprechen. Übrigens, diese Angst spürte ich als 9 Jähriger bei deutschen Erwachsenen immer wieder um 1945! Wenn sie z. B. englischen Besatzern auf dem Bürgersteig begegneten, gingen sie ihnen lieber aus dem Wege und wechselten schon vorher die Straßenseite! Es war die Zeit noch vor der Entnazifizierung als viele mit großer Angst vor der Unberechenbarkeit der Sieger ob der deutschen Menschheitsverbrechen mit möglichen Racheakten rechneten. Diese tiefen emotionalen Erfahrungen machten in dieser Zeit viele Kinderseelen, kurz nach dem Krieg, dem sie gerade mit viel Leid, persönlichen Blessuren und Bildungsrückständen durch Bombardierungen und Schulausfällen entgangen sind. Diese verarmte Gefühlswelt in der Verschmelzung mit fassettenreicher Gewalt die auch nach 1945, wenn auch anders, nicht aufhörte, können wir auch heute wieder beobachten. Das Sterben von Demokratien, so meine Schlussfolgerung, fängt m. E. viel früher an als manche Historiker und Journalisten es wahr haben wollen! Diese seelisch-mentale Aufarbeitung fehlt auch 75 Jahre nach der Katastrophe, von privaten Schicksalsbeschreibungen abgesehen, vor allem in den Medien bis heute! Unsere Jugend wieder vielfältigen Verrohungs-Szenarien ausgesetzt, sollte aber davon erfahren und die Kontinuität dieser Phänomene erkennen und einordnen können!

Günter Bialkowski, 04.04.2023

Vortragsankündigung beim Boten:


herral, 04.04.2023

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