Hameln, 09.05.2025: Günter Bialkowsik schreibt von persönlichen Eindrücken und Einschätzungen zum Kirchentag.
Viel ist über den evang. Kirchentag in Hannover gesagt und geschrieben worden. Hier - eine Nachlese aus Augenhöhe. Ich glaube, es waren drei Kirchentage die ich selber besucht und erlebt habe. Auf einem habe ich in einer Bibelauslegung Herbert Wehner in der Kirchenbank vor mir entdeckt. Hatte damals mächtig Respekt vor dem grimmigen Onkel Herbert, war aber auch überrascht ihn hier zu sehen.
Was mir bei diesem Kirchentag gefühlt besonders auffiel, es scheint, dass sich die offizielle Kirche aus den friedensbewegten Zeiten langsam zurück zieht. Jedenfalls traten andere Themen in den Vordergrund des Geschehens. Nun dienen Kirchentage u.a. auch immer der eigenen Selbstvergewisserung - den Menschen, die allen Krisen und Verfehlungen zum Trotz immer zur Kirche stehen. Aber auch Gemeindepastoren und - pastorinnen testen wo Ihre Kirche gerade steht, richtet sie ihre Aufmerksamkeit zielgenau den Problemen der Menschen zu, hat sie Antworten auf die vielen Fragen, den Zukunftsängsten? Aber auch randständige Kirchenmitglieder sehen sich um, suchen nach Erkenntnis, kann Kirche mir in diesen turbulenten Zeiten, wo viele Gewissheiten schwinden persönlich noch etwas geben? Auch dieses Super-Treffen in Hannover war vielfältig, es gab interessante Programmpunkte, Diskussionen, auch politische, es war bunt, offen und sogar ein bisschen mutig.
Immerhin war die Theologieprofessorin Hanna Reichel aus Princeton USA eingeladen. Und sie war eine Bereicherung. In ihrer Predigt im Abschlussgottesdienst griff sie Trumps Vizepräsident JD Vance, seinen Rassismus und auch die Teepartie direkt an: „Uns trennen Gräben, auch gesellschaftlich“, sagte sie und forderte mehr Zusammenhalt über innere und äußere Grenzen hinweg - in Gottes Liebe. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff forderte angesichts der politischen Entwicklungen in USA die Anwesenden auf
europäische Werte zu verteidigen. Das kam den Gefühlen und den Erwartungen vieler Kirchentagsbesucher und Fernsehzuschauer an den Bildschirmen sehr entgegen, denn die Verunsicherung ist groß. Damit hat die evang. Kirche von ihrem Recht sich politisch in die Gesellschaft hinein zu äußern Gebrauch gemacht.
Noch ein Wort zur Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. Sie möchte als studierte katholische Theologin den Kirchen absprechen - sich politisch zu äußern. Wie kann man nur so konservativ sein? Kirchen verstanden sich gemäß ihres biblischen Auftrags immer schon für das ganze Leben des Menschen zuständig, weil er Teil der Politik ist. Außerdem leben wir in einer freien Gesellschaft, einer durch GG verfassten Demokratie. Ich kann nur hoffen, dass die neue Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz dieser Frau das zweithöchste Amt im Staate anzuvertrauen keinen Fehler gemacht hat. Angesichts unserer weltweiten Konflikte und eigener innerer Probleme können wir uns alte, längst überwunden geglaubte Kulturkämpfe nicht mehr leisten.
Persönlich stelle ich fest, dass zumindest in der Evangelischen Kirche eine neue Generation von Pastorinnen und Pastoren ausgebildet wurde, die mit unseren gesellschaftlichen Gräben und Konflikten anders umgehen. Hier steht der Superkonflikt aller westlichen Demokratien, der tiefe Graben zwischen arm und reich an erster Stelle. Und der ist in jedem Falle politisch! Dass die Kirche sich hierzu und anderen z.B. Krieg und Frieden nicht äußern dürfte, wie es sich Fr. Klöckner vorstellt, dass sieht wohl selbst der Naivste ein.
Günter Bialkowski