Hameln, 24.05.2025: Viele Jahre hat Mechthild Clemens für Bündnis 90/Die Grünen auf Ebene des Landkreises und der Stadt Hameln die politische Arbeit mit geprägt. Rainer Schams führt mit ihr ein Interview zum Abschied.
Mechthild Clemens sagt Hameln Adieu
Die langjährige Ortsverbandsvorsitzende der Grünen, Kreistagsabgeordnete und stellvertretende Landrätin Mechthild Clemens verlegt ihren Wohnsitz nach Brandenburg, in die Peripherie der Hauptstadt Berlin, und verlässt Hameln.
Anlass, sie nach den Gründen zu fragen, aber auch auf ihre Zeit in der Politik, in Hameln und „im Leben“ zurückzublicken.
PORTRAIT
- Name: Mechthild Clemens
- Alter: 70 Jahre
- Familiäre Situation: verwitwet, 3 erwachsene Kinder.
- Beruf: Lehrerin (Deutsch und Politik)
- Beruflicher Werdegang: nach dem Referendariat – aufgrund des damaligen Einstellungsstopps – u.a. Lehrtätigkeit in Deutsch als Fremdsprache in Hameln und Nürnberg, eigene Praxis als Lerntherapeutin.
2015 Übernahme in den niedersächsischen Schuldienst als Leitung der Sprachlernklassen an der IGS Springe - Politischer Werdegang: Parteieintritt Bündnis 90/Die Grünen 1993, fünfmal (für je 2 Jahre) Vorsitzende der Hamelner Grünen; dreimal (für je fünf Jahre) Kreistagsabgeordnete für Bündnis 90/die Grünen; 2022-heute stellvertretende Landrätin
Ich bin mit Mechthild Clemens in einem Innenstadtcafé verabredet. Sie ist vor mir da, und kaum habe ich mich gesetzt, kommt eine junge Frau zu uns an den Tisch. Sie tauscht sich kurz mit Mechthild aus, bekommt von ihr irgendwelche Dokumente und ist wieder verschwunden.
Und schon sind wir mittendrin in ihrem Leben, dem privaten wie dem politischen: Mechthild erklärt, die junge Frau sei ihre „Mieterin” – eher wohl ihr Protegé – eine junge Namibierin, die die Dokumente brauche, um ihren Aufenthaltsstatus zu sichern…
- Oops – wie kam es denn zu dieser „Mieterin“?
- „Sie ist mit quasi zugeflogen. Ich hatte in meinem Haus eine Ein-Zimmer-Wohnung frei, und wollte über das Grüne Büro zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine eigentlich einer Ukrainerin Unterkunft geben – stattdessen kam dann diese Namibierin, eine ganz tolle junge Frau, die jetzt eine Ausbildung zur Krankenpflegeassistentin macht.“
- Das heißt, sie ist als Asylbewerberin anerkannt?
- „Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, aber ihre Abschiebung ist ausgesetzt – da sie eine Ausbildung macht, bin ich ganz zuversichtlich, dass sie bleiben kann.“
- Warum verlässt Du jetzt eigentlich Hameln?
- „Weil ich zu meinen Kindern ziehe – das ist die Hauptmotivation.
Ich habe lange hin und her überlegt, ob ich in Hameln bleibe, vielleicht in eine
Wohngemeinschaft ziehe, aber da gab es im LK Hameln-Pyrmont nichts freies
Passendes; und selbst noch so ein Projekt beginnen, das wollte ich nicht.“
Mechthild freut sich auch darauf, noch einmal Großstadtluft und -kultur in der nahen Hauptstadt zu schnuppern, aber sie lässt durchblicken, dass sie sich natürlich auch um die Betreuung der Enkel kümmern möchte und – perspektivisch – auch selbst im Alter familiärer Hilfe näher sein möchte.
- Kommen wir zu Deiner politischen Karriere: Was war 1993 der Anlass für
Dich, in die Politik zu gehen und den Grünen beizutreten? - „Das Mütterzentrum wollte damals in die alten Fischerhäuser in der Stubenstraße ziehen; und die Grünen unterstützten das.
Es ist anders gekommen: das ECE wurde gegen alle Widerstände gebaut, die
Fischerhäuser abgerissen, obwohl schon damals absehbar war, wie das die
Innenstadt verändern und zu Leerständen führen würde – auch wenn der heutige Online-Handel damals nicht abzusehen war.“ - Und was waren dann in den folgenden Jahrzehnten Deine Schwerpunktthemen?
- „Die Hauptarbeitsfelder waren Schulpolitik, sowie Jugend und Soziales; ich war
auch immer in den entsprechenden Ausschüssen. Bis zum Schluss ging es um
Schulentwicklung und ich konnte mich aber in der Mehrheitsgruppe mit meinen Vorstellungen leider nicht mehr durchsetzen. Ich glaube, die Bildungspolitik wird zunehmend wichtiger und wir müssen ganz neu darüber nachdenken, wie wir Schule in den nächsten Jahren organisieren, angesichts der Veränderungen von Familienstrukturen, Digitalisierung, kultureller Vielfalt und weltweiten Anforderungen der Globalisierung. Da können wir uns das im Landkreis nicht mehr leisten, Jugendliche ohne Schulabschluss zu entlassen. - Was war der beste Moment, wenn es denn so einen gibt?
- „Die Initiative für die (erste) IGS in Hameln, und dass das dann geklappt hat, war sicher ein Highlight. Wir hatten bei den Grünen einen Arbeitskreis „Bildung“, aus dem die Initiative für die IGS hervorging. Das war eine richtig nette Gruppe von Leuten, zu denen ich zum Teil heute noch Kontakt habe. Wir haben dann an mehreren Schulen unsere Ideen vorgestellt, natürlich auch mit denen diskutiert, die eine IGS verhindern wollten. Die Entscheidung für die IGS war toll, auch wenn es nochmal 10 Jahre gedauert hat, bis die IGS ihre Räume hatte und eine eigene Oberstufe hinzugekommen ist.“
- Und der Tiefpunkt? Oder die Tiefpunkte?
- „Das sind eigentlich jetzt die letzten 2 1/2 Jahre. Nach Corona hat sich aus meiner Sicht die politische Arbeit sehr verändert. Wenn ich zurückblicke, hat eigentlich lange die Politik bestimmt, was passiert; mittlerweile habe ich den Eindruck, dass es sich deutlich zur Verwaltung verschoben hat. Eine Erfahrung, die viele machen, die schon länger politisch unterwegs sind, und die feststellen, dass es zunehmend schwieriger wird, etwas zu bewegen.”
- Wie blickst Du denn auf die gegenwärtige politische Lage?
Wer jetzt erwartet, Mechthild würde zum großen Rundumschlag gegen die neue
Bundesregierung, die AfD, Trump, Putin & Co ausholen, wird enttäuscht.
Mechthild bleibt bei dem Politikfeld, in dem sie sich auskennt: der Kommunalpolitik. Aber auch dort malt sie ein insgesamt trübes Bild…
- „Kommunalpolitisch wird es immer schwieriger irgend etwas zu bewegen. Die
gesetzlichen Regelungen haben sich ja nochmal deutlich verschärft. Nicht zu toppen ist z.B. das Thema ‚Brandschutz‘ in Schulen. Solche bürokratischen Zwänge verderben einem die Lust an der aktiven politischen Arbeit. Da muss man schon sehr motiviert sein, um weiterzumachen. - Wichtig bleibt im Rückblick – wie auch der deutsche Städtetag kritisiert – dass die Parteien im Bund oder Land, egal welche, Gesetze beschließen und die Umsetzung zu den Kommunen durchreichen.
Das aktuellste Beispiel dafür ist das Recht auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen, das ab 2026 gilt. Wir haben jetzt schon das Problem, dass wir weder die Fachkräfte, noch die Räume für die Betreuung haben.
Aber es ist so beschlossen, obwohl unklar ist, wie es finanziert und geregelt wird. - Und solche Beispiele gibt es Hunderte, wo die Kommunen in die Pflicht genommen werden, obwohl das Geld fehlt. Die kommunalen Haushalte sind extrem verschuldet und kommen mit immer neuen Ausgaben aus dem Defizit nicht mehr raus.
- Würdest Du heute etwas anders machen, wenn Du das könntest?
- „Ich hätte natürlich gern gleich eine Stelle in der Schule bekommen, aber dass das nicht so war, war ja gesellschaftlich bedingt, das war nicht meine Schuld.
- Und ich unterrichte wirklich gern – manche Leute sind ja entsetzt, dass ich das im Ruhestand immer noch mache. Aber es ist nicht so, dass ich sagen müsste, es war ein verkorkstes Arbeitsleben, weil ich auf anderen Ebenen unterrichtet habe. Auch die Entscheidung, nochmal in den Bereich Lerntherapie zu gehen, war gut: ich bin zwar in meinem Metier geblieben, hatte dabei aber quasi eine Außenposition mit Blick auf die Schule und konnte dort ein bisschen „reparieren“ Also eigentlich war alles ganz in Ordnung so.“
- Und zum Abschluss: welchen Rat hast Du an junge Menschen, auch wenn
es um Engagement in der Politik geht?
Mechthild überlegt einen Augenblick – bevor sie dann eher ihre Ratlosigkeit angesichts der Stimmungslage der jungen Leute, der ‚Gen Z‘, zum Ausdruck bringt…
„Ich würde immer dafür plädieren, sich in einer Partei zu engagieren. Das ist
wichtig, dass nicht nur Menschen aus meiner Generation Politik machen. Allerdings sind die Strukturen in Rat und Kreistag auch schwierig. Sicher müssen wir uns andere Beteiligungsformen ausdenken, Bürgerräte und andere Formate, wo die jungen Leute andocken können. Ich erlebe bei den Grünen sehr engagierte junge Leute, aber das sind nicht viele. Eigentlich müsste die politische Bildung in der Schule und der Gesellschaft für junge Leute attraktiv gestaltet und neu konzipiert werden. Gerade in unserer alternden Gesellschaft sind wir auf die jungen Menschen angewiesen. Es muss deutlich werden, dass man die Demokratie auch leben muss, sonst haben die demokratiefeindlichen Kräfte bald die Oberhand.“
- Danke, Mechthild!
Viel Glück und Erfolg für die Zukunft!
Das Interview mit Mechthild führte Rainer Schams. Vielen Dank dafür an beide.
herral, 24.05.2025