„Lat´n Baukbinner weeren!“ sagte Gevatter Kleistertopf. Buchbinder? Das hatte mit Büchern zu tun.
Bilder und Werbeanzeigen aus dem Weserbergland des Jahres 1927 Bemerkenswert ist ein „Nachruf“ auf den plattdeutschen Heimatdichter Christian Flemes von dessen Sohn Bernhard Flemes, welcher hier wiedergegeben wird:
Christian Flemes, verstorben am 25. April 1926 Von Bernhard Flemes. Sie fragen an, sehr geehrter Herr Herausgeber des „Klüt“, ob ich den Lesern Ihres Kalenders über meinen Vater berichten will. Ich tue das gern, denn ich kannte ihn gewiß am besten. Eine kritische Würdigung seines Schaffens muß ich mir allerdings aus naheliegenden Gründen versagen. Sassen Sie mich mit einigen Sätzen den äußeren Verlauf seines Lebens skizzieren, denn es gibt darüber nicht viel zu sagen, weil es sich im engen Kreise bewegte und die Norm des Üblichen in keiner Weise überschritt. Er wurde zu Völksen als Sohn eines Leinewebers geboren. Ich habe meinen Großvater als hohen, ernsten und strengen Mann gekannt und mit knabenhafter ehrfürchtiger Scheu in das feste Antlitz, auf die harten Arbeitshände gestaunt. Als er starb, war mir das wie der Sturz eines Eichenbaumes im Walde. Auch mein Vater kannte ihn wohl nur in der steinernen Herbheit seines Wesens, und so verlief seine Jugend schlecht und recht zwischen der handwerklichen und bäuerlichen Hantierung des Vaters. Er mußte spulen, haspeln, Gänse und Kühe hüten. Da er schwächlich war, blieb er bis zum 16. Lebensjahr zu Hause. Als eines Tages die Berufsfrage akut wurde, war zufälligerweise der Buchbinder aus springe beim Leineweber Flemes. „Lat´n Baukbinner weeren!“ sagte Gevatter Kleistertopf. Buchbinder? Das hatte mit Büchern zu tun. Am Ende konnte er sogar das Zeichnen fortsetzen, wozu ihn der Pastor angeregt hatte. „Junge, wut du Baukbinner weeren?“ fragte der Vater. „Ja!“ Und dann war´s entschieden. Nach der Lehrzeit in Springe kam immerhin die bewegtere Luft der Wanderburschenjahre, die den jungen Gesellen nach Frankfurt und Süddeutschland führten, von wo aus er 1870 in Dresden bei den Grenadieren eintrat. Hier erkrankte er schwer, lag über ein Jahr im Lazarett und wurde in die Heimat entlassen. Dann folgten die Arbeitsjahre in einigen Geschäftsbücherfabriken Hannovers, in deren letzter – bei Edler u. Krische – er über 25 Jahre tätig war. Wie kam er nun an die plattdeutsche Dichterei? Er hat sich bei Familienanlässen und Festlichkeiten wiederholt mit Gelegenheitsversen befaßt. Als ich nur – einziges, umsorgtes Kind – mich für die Schulmeisterei entschieden hatte und mit 16 Jahren meine ersten Verse schrieb, da trieb es den Vater plötzlich, in sich hinein zu horchen. Und da klang es blank und treu aus Tiefen der Bauernseele: plattdeutsche Verse. Sie waren mit einem Male da, entstanden während der Tagesarbeit, mit Erholungsaufenthalten im Deister, die ich in den Ferien mit ihm teilte, und wurden erstaunlich rasch reif. Er fand Anschluß an plattdeutsche Kreis Hannovers, veröffentlichte gelegentlich Verse und Geschichten in heimatlichen Zeitschriften, und als dann sein 60. Geburtstag nahte, da trat der Münchener Universitätsprofessor Dr. Arthur Kutscher und andere namhafte Freunde des Plattdeutschen so warm für ihn ein, daß sein Chef, der Fabrikherr Otto Edler, in der Erkenntnis, welche seltenen Vogel er unter seinen Arbeitern hatte, uneigennützig einen Band von Vaters plattdeutschen Gedichten verlegte, der zum 60ten Geburtstage herauskam und Freunde fand. Da Vater nun wegen eines chronischen Halsleidens seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte und auch meine Mutter die Beschwerden des Alters und die Folgen schwerer, versorgter Jahre an sich spürte, so baute ich 1913 mein Häuschen am Klütberg in Hameln, und die beiden Alten kamen zu uns. Das wurden meines Vaters beste Jahre. Hier entstand seine Erzählung „Hand Dick“ wie der Geschichtenband „Up den Eikenhowwe“ und andere Arbeiten. Im Jahre 1818 starb meine Mutter. Aber Vater fand ins Leben zurück und hatte noch ein paar gute Jahre, in denen er rüstig durch die Berge wanderte und durch die absolute Regelmäßigkeit und Bedachtsamkeit seines Lebens den oftmals knackenden Körper aufrecht erhielt. Der 70. Und 75 Geburtstag brachten ihm Ehrungen mancher Art. Die Stadt Hannover setzte ihm einen Ehrensold aus und gab einer neuen Straße unseren Namen, und Freunde plattdeutscher Art trugen ihm Liebe und Verehrung zu. Das alles erfreute ihn, aber die tiefe Zufriedenheit seiner letzten Jahrzehnte quoll aus der Erkenntnis, daß er aus seinem Leben gemacht hatte, was daraus zu machen war, als Mensch wie auch als Poet. Dabei konnte niemand bescheidener sein, als er es war. Als ihn ein auswärtiger Universitätsprofessor über sein plattdeutsches Wörterbuch der Calenberger Mundart anerkennende Worte sagte, da wurde er rührend verlegen, denn er hatte sich dieser langwierigen Sammelarbeit nur unterzogen, weil ihm nichts mehr am herzen lag als die Erhaltung der plattdeutschen Sprache. Er fühlte sich von ihr getragen und gab ihr, was er schrieb, dankbaren Herzens zurück. Und über diejenigen, die sich des Plattdeutschen nur bedienten, um in ihm eine zum Lachen reizende Resonanz für Mätzchen und Witzeleien zu haben, konnte er arg zornig werden. Plattdeutsch schreiben war ihm gleichbedeutend mit plattdeutsch denken und fühlen. Daß er´s vermochte, war seiner Bauernheimat reichstes Vermächtnis an ihm. So gerade, ehrlich und treuherzig wie er schrieb, war auch sein Wesen. Ich habe es nie erfahren, daß er sich je der kleinsten Notlüge oder Ausrede bedient hatte. Je älter er wurde, um so ausgeglichener wurde er. Alte Menschen pflegen zumeist der Erinnerung zu leben. Mein Vater lebte der Gegenwart und auch der Zukunft. Er war immer bereit zu verstehen, auch wo er nicht mitkonnte, und es gab nichts Geistiges, das ihn nicht interessiert hätte. Die vielen Menschen, die in unseren Hause längere oder kürzere Zeit verkehrten – politisch wie geistig und künstlerisch den verschiedensten Richtungen zugehörten – saßen alle gerne ein Stündchen bei ihm auf seiner Stube und freuten sich der geistigen Frische des Alten. Und als seine Augen ihm das Sehen nur noch für wenige Stunden am Tage gestatteten, als die zittrigen Hände die Feder nicht mehr zu führen vermochten, da wickelte und bestickte er seine Wollbälle, eine Beschäftigung seiner Kinderjahre aufnehmend, - alte Volkskunst, die er meisterlich übte und Kindern und Erwachsenen damit Freude bereitete. Er hat den letzten vorbereiteten Ball bis auf das letzte kleine Farbfeldchen zuende gestickt, als ihm der Tod die Sticknadel aus der Hand nahm. In seiner Sofaecke saß er, - klar, gefaßt, des nahen Endes sich bewußt. Als er den Knochenmann vor sich sah, ergriff er die Hände meiner lieben Frau, sagte mit letztem Atem: Dank, Dank, Dank! Und starb ohne Angst und Erregung. Was er in einem Gedicht zum Tode sprach: „Lat mek den Nacken stiw!“ – das ist ihm erfüllt worden. Auf seinem Gesicht lag der Frieden des rein Ausgelebten. Mir und den Meinen lebt er nach wie vor. Ich bin vielfach andere Wege gegangen, auch mehr Irrwege als er. Er verstand und billigte sie. Das ich jetzt in der Dämmerstunde nicht mehr zu ihm hinaufgehen und, was mich bewegt, ihm stumm zutragen kann, das ist mein Schmerz um ihn. Er war der reine, feste, gütige norddeutsche Mensch, - der Volltyp des ausgereiften Niedersachsen. Und ich glaube, daß darin - ganz abgesehen von kritischer Wertung – seine Bedeutung für das plattdeutsche Schrifttum liegt. Das er kein Großer war, wußte er genau. Das er aber mit jeder Faser seines Seins mit seinem Volksstamm und seiner Heimat verwachsen war, das wußte er auch, und es war sein Stolz.
„Der Klüt“ ist ein Heimatkalender für das mittlere Wesergebiet, herausgegeben im Auftrage des Kreiswohlfahrtsamtes und des Verbandes Vaterländischer Frauenvereine des Kreises Hameln-Pyrmont von Traugott Friedemann und J.H. Landwehr. Bei dieser Ausgabe handelt es sich um den 5. Jahrgang für das Jahr 1927.
Der Kalender ist im Bestand der Stadtbücherei Hameln.
Die Bilder des Kalenders 1927
Die Werbeanzeigen des Kalenders 1927