Gastbeitrag: Eine Tafel für den Bismarckturm

Ein Beitrag von Bernhard Gelderblom:

Jedermann wird Verständnis haben für die Entscheidung der Stadt, den Bismarckturm den Fledermäusen zu überlassen und sein Inneres nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, zumal seit Schließung der benachbarten Gaststätte niemand mehr in der Nähe ist, der den Schlüssel zur Verfügung stellen kann. Aber auch als Fledermausquartier bleibt der Turm ein Bauwerk, das öffentliches Interesse und bauliche Unterhaltung verdient.

Einem unbefangenen Betrachter erscheint der Turm als rätselhaftes archaisches Bauwerk, geradezu als Fossil, das aus uralten Zeiten in die Gegenwart ragt. Dabei ist der Bau gerade 111 Jahre alt. Er stammt aus den letzten Jahren des Deutschen Kaiserreiches und wurde 1910 eingeweiht.

Bismarcktürme zu bauen, war eine Idee der deutschen Studentenschaft, die damals sehr national dachte. Sie wollte ihre Verehrung für den ersten Reichskanzler des zweiten Deutschen Reiches zum Ausdruck bringen, dessen Gründung „mit „Blut und Eisen“ 1871 wesentlich auf Bismarck zurückgeht.

Die Idee verbreitete sich rasch über Deutschland. Insgesamt wurden in Deutschland 184 Bismarcktürme errichtet, hier in der Region auch in Bodenwerder und Bad Pyrmont. Auf den Türmen waren große Schalen montiert, auf denen zu Bismarcks Geburtstag am 1. April Feuer weit ins Land hinein loderten.

Träger der Idee war in Hameln das konservative Bürgertum, dem das höchst ungerechte preußische Dreiklassenwahlrecht die Mehrheit im Stadtparlament sicherte. Dabei war in Hameln längst die Arbeiterschaft zur zahlenmäßig größten Schicht erstarkt, hatte aber keine politische Mitsprachemöglichkeit.

Die deutsche Gesellschaft stand damals unter dem Primat des Militärischen und große Teile des Bürgertums eiferten dem Adel nach. Die Nation baute auf Gehorsam, auf Pflicht und Männlichkeit. Das Hamelner Bürgertum begeisterte sich an „vaterländischen“ Festen, feierte z.B. 1895 den 25-jährigen Tag des Sieges bei der Schlacht von Sedan gegen Frankreich. Im Frühjahr 1897 war der 100. Geburtstag Wilhelms I. Anlass für eine Feier mit Gottesdienst, Truppenparade, Illumination und Festbankett im Hotel Monopol an der Deisterstraße.

Für den Bau, der durch Spenden finanziert werden musste, gründete sich in Hameln 1901 ein Kreis aus konservativem Bürgertum, Handwerkerschaft, Adel und Landwirtschaft. Die Arbeiterschaft war zu Spenden weder gewillt noch in der Lage. Das zahlenmäßig geringe „freisinnige“ Bürgertum stand dem Vorhaben eher ablehnend gegenüber. In den Spendenlisten finden sich auch keine jüdischen Namen.

Als Architekt gewann man den bekannten Baumeister Wilhelm Kreis. Dieser baute nach seinem Entwurf „Götterdämmerung“ wuchtige „Feuersäulen“ in Serie, insgesamt 47 Bismarcktürme.

Es dauerte in Hameln fast zehn Jahre, bis die erforderliche Bausumme von 14.000 Reichsmark zusammen war. Am 12. August 1909 wurde der Grundstein gelegt. Doch auch jetzt reichte das Geld nicht aus. So musste der Architekt die Säule von 15 auf 13 Meter verkürzen. Den Sandstein aus dem nahen Steinbruch an der Uetzenburg fuhren heimische Landwirte kostenlos.

Zur feierlichen „Weihe“ am 95. Geburtstag Bismarcks am 1. April 1910 deklamierte der Direktor des Gymnasiums für Jungen, Eberhard Erythropel:

„Es ragt der Turm aus den Quadern unserer Berge geschichtet, ein Denkmal des Dankes, ein Wahrzeichen der Einigkeit, eine Erinnerung an große Tage und Taten unseres Volkes, eine Mahnung für uns und ferne kommende Geschlechter, stummredend höchst beredte Sprache, … ein Symbol der Kraft, des Willens und der markigen Gestalt des Alten aus dem Sachsenwalde.“

Zum ersten Male stieg aus der Feuerschale „die lohende Flamme“ auf.

Wir wissen nicht, wie oft in den Folgejahren das Feuer in der Schale des Turmes entfacht wurde und wie oft der Turm die Kulisse für „vaterländische“ und säbelrasselnde Feiern bildete. Von der „Weihe“ waren es nur noch vier Jahre bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Auf die „Blutpumpe“ von Verdun folgte der Völkermord im Zweiten Weltkrieg.

Der Geist des Bismarckturmes kann nicht als Vorbild für die heutige Zeit dienen. Aber die Erinnerung an den langen Weg, den Deutschland seitdem gegangen ist, muss wach gehalten werden. Dafür steht der Turm mit seinem Namen. Nötig ist eine Tafel, die über seine Eigenart, seine Erbauer und den Träger des Namens informiert.

Bernhard Gelderblom


Text unverändert übernommen, Fotos eigenen/historisch, 09.03.2021, Ralf Hermes

Viele lesenswerte weitere Informationen zur Stadtgeschichte Hamelns findet man in dem Buch: Hameln – damals & heute, Verlag Jörg Mitzkat. Zu finden in der Stadtbücherei oder im lokalen Buchhandel.

Siehe auch:

http://www.gelderblom-hameln.de/

Weitere Beiträge zum Bismarckturm in Hameln hier beim Boten unter:

https://hamelnerbote.de/?tag=bismarcktrum

Ein Gedanke zu „Gastbeitrag: Eine Tafel für den Bismarckturm“

  1. Chapeau, eine erhellende Berichterstattung zu den Bismarck-Türmen, vielen Dank (ernst gemeintes Lob).
    Dennoch eine, nicht ganz ernst gemeinte, Anregung. Ohne Frage war Bismarck ein bedeutender Reformer der Sozialsystheme, gleichzeitig aber auch ein Wegbereiter des aufkeimenden Nationalismus. Für die Türme könnte ich mir eine zweite Bestimmung vorstellen: Sie werden zu Merkel-Türmen, das würde die Bau-Erhaltung langfristig mit etlichen Milliarden sichern.
    Jedes Jahr werden auf 184 Merkel-Türmen zu ihrem Geburtstag Leuchtfeuer ausgerichtet.
    Sie wäre sicherlich gerührt! Manchmal muss man konstruktiv denken und in die Zukunft schauen: von einem Turm.

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