Gastbeitrag: „Bauernproteste!“ von Günter Bialkowski

Hameln, 11.01.2024: Gedanken zu den Protesten: „Fehlt der Blick fürs große Ganze – Thomas Timm? Oder mangelt es an Vernunft und Bereitschaft zu notwendigen Kompromissen – Christina Dunz? „

Welcher Berufsstand, welche gesellschaftliche Gruppe schafft es über Tage an der Spitze der Nachrichten, Leitartikel und Kommentare zu stehen? Die Bauern!

Und so widmete auch unsere Heimatzeitung mit Cristina Dunz und Thomas Timm dem neuen Chefredakteur dieser Thematik große Aufmerksamkeit. Ihre Beiträge brachten uns Information aber auch persönliche Einschätzungen. Gleichwohl in den Kernaussagen stimme ich mit Ihnen überein. Bei Fr. Dunz sind es Vernunft, Kompromissbereitschaft und autoritärer Staat. Und bei Hr. Timm finden sich der Blick aufs große Ganze, der Ruf nach dem Staat und der Blick auf uns selber! Den wichtigen Erkenntnissen, von vielen Journalisten an diesem Tag, die ich auch noch gelesen habe, möchte ich ein paar eigene Einschätzungen und Fragen hinzufügen.

Bauernstand – wer ist das? – kleine Landwirte, Groß- u. Massenbetriebe, Agrarindustrie, Branche, Funktionäre, Aktionäre, Lobbyisten … … ?

Ja – zur deutschen Landwirtschaft! Aber ist der Protest in dieser Form, Radikalisierung, Störung der gesamten Gesellschaft gerechtfertigt? Hier gehen selbst Meinungen von Ökonomen auseinander? Einige sagen, die Branche hat im vergangenen Jahr Rekordgewinne eingefahren … …! Was sind die Forderungen der Demonstranten? Bilder und Texte gehen hier weit auseinander! So auch die Interpretationen der Journalisten, Redaktionen, Politik- u. Gesellschafts-Analysten.

Fehlt der Blick fürs große Ganze – Thomas Timm? Oder mangelt es an Vernunft und Bereitschaft zu notwendigen Kompromissen – Christina Dunz? Oder geht es hier um mehr, Grundsätzlicheres, soll gar die demokratisch gewählte Bundesregierung gestürzt werden? Diese Fragen drängen sich auf, wenn man Transparente, Texte und Formulierungen der sehr gemischten, meist fahrenden – in nicht wenigen Fällen auch unterwanderten Protestierenden sieht und hört!

Wie heute alle wissen, handelt es sich bei uns um eine komplexe Gemengelage in einer noch komplexeren krisengeschüttelten Gesamtgesellschaft.

Minister Cem Özdemir – Grüne: „Von 40 Jahren Agrarpolitik waren 31 Jahre Unions-Politik“. Wird nicht aufgegriffen. Überhaupt werden die von Merkels CDU angeführten Regierungen, deren grundlegende Fehlentscheidungen für unsere heutigen Probleme und Notlagen mit verantwortlich sind, von der freien Presse tabuisiert. Von Hr. Merz, dem Hoffnungsträger eines wiedererstarkten und durchsetzungsfähigen Konservativen wird kaum Distanzierung eingefordert! Mehr Demut bei der Beschimpfung der Dreier-Koalition in Berlin fehl am Platze. Seine Offerten an die Bauern … na gut, lassen wir das. Seine markigen Sprüche, nah an der ideologischen Brandmauer, aber immer herzlich willkommen.

Bleibt ernsthaft die Frage, zeigen uns die Bauern-Demonstrationen nicht eines ganz deutlich: Hier ist etwas verloren gegangen, der Respekt vor der Meinung, den Interessen und Bedürfnissen des Anderen. Rückläufig, defizitär auch die Solidarität und der Sinn fürs Gemeinwohl über all !! Sollte uns diese Entwicklung nicht sorgen? Durchsetzung der eigenen Forderungen mit allen Mitteln als Folge eines überdrehten Selbstoptimierungsprozesses, erwachsen aus den Niederungen unseres weltweiten Neoliberalismus mit seinen Zwängen zum ewigen Wachstum! Aus kleinen Bauern mußten große werden. Zielsetzung: mehr, größer, Massenbetriebe, Agrarindustrie! Immer in Feinabstimmung mit Brüssel, deren Agrar-Subventionen heute schwindelnde Höhen erreicht haben. Und so wie bei den Bauern geht es auch in anderen Bereichen.

In einem Spiegel-Interview „Versuchung der Freiheit“, in dem es auch um den Liberalismus ging, sagte einst der Vordenker der FDP und spätere Lord im englischen Oberhaus Ralf Dahrendorf folgenden Satz: „Wie überlebt eine liberale Gesellschaft in den rauen Winden einer ziemlich unfreundlichen Weltwirtschaft, ohne dabei allen sozialen Zusammenhalt und alle Freiheit zu zerstören?“, Spiegel 12.03.1995, Paul Lersch u. Gerhard Spörl. Unser Finanzminister Christian Lindner FDP sitzt heute mit Bundeskanzler Scholz SPD und dem Wirtschaftsminister Habeck in der Regierungsverantwortung. Vielleicht sollte er bei Dahrendorf mal nachlesen, wie man die Entgleisungen und Fehlentwicklungen des Liberalismus von heute wieder auf Linie bringen kann! Die Impulse zur Korrektur: das heisst die Überbetonung des Individuums gegenüber dem Kollektivismus in unserer freiheitlichen Gesellschaft sollte jedenfalls von Seiten der heutigen FDP ausgehen und wieder in den Focus gehoben werden. Sonst macht sie sich total unglaubwürdig und wird bald aus dem Parteien-Spektrum verschwinden. Die Gesänge von immer mehr Eigenverantwortung sind von gestern und immer mehr Gruppen in unserer Gesellschaft können sie nicht mehr hören. Denn sie haben uns in dieses Dilemma geführt! Es ist Zeit zur Umkehr!

Bundeskanzler Scholz und seine Dreier-Koalition arbeiten an der Zeitenwende und mit Erfolg, geben wir ihr die Zeit die sie brauchen. Die dargestellten Probleme und Entwicklungen sind aber von der ganzen Zivilgesellschaft zu leisten! Ich bin überzeugt, wenn jeder nur ein kleines bisschen an seinem eigenen Egoismus arbeitet, wird uns eine bessere Zukunft gelingen.

Günter Bialkowski

3 Gedanken zu „Gastbeitrag: „Bauernproteste!“ von Günter Bialkowski“

  1. Ich mache es kürzer:
    Wenn ein vereidigter Vizekanzler von aufgebrachten Bauernbengeln in seinem Kurzurlaub drangsaliert wird – vielmehr als ein paar Tage dürften es nicht gewesen sein – frage ich mich wohin das führt. Es erinnert mich an Nazi-Methoden. Werden wir in Bälde an den Fenstern der Bioläden gelbe Sonnenblumen mit der Verkleisterung „Kauft nicht bei Grünen, Gelben und Roten“ vorfinden? Da helfen Dementis des Bauernverbandes auch nicht wesentlich weiter.

    Ich habe bereits an einigen Demonstrationen teilgenommen, aber nie 21 Cent per Liter meines Spritaufwandes zurückbekommen, blockiere aber auch nicht mit einem 500 Ps- Boliden die Infra- Strucktur. Die Blockaden in diesem Ausmass empfinde ich als Nötigung.

    Landwirte haben 2023 den höchsten Durchschnitts-Gewinn pro Betrieb seit Aufzeichnung verbuchen können. Es sei Ihnen zum Teil gegönnt, selbst wenn sie mit Milliarden von der EU seit Jahrzehnten gepeppelt werden. Die Förderung der EU für die Landwirte ist der größte Haushaltsposten.

    Soweit mein kurzes Statement. Sonst wirft mir noch jemand die Fensterscheiben ein. Sensen und Heugabeln kommen ja vorerst nicht zum Einsatz.

    Die Treckerdemos sind sicherlich legitim. Aber in diesem Ausmass? Es sei dahingestellt

  2. Danke für den Hinweis, wieviele Jahre Unionspolitik mit zu den Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft beigetragen haben. Ergänzend empfehle ich den Spiegel-Online-Podcast „Moreno+1“ mit Juli Zeh, der in eine etwas andere Richtung geht.

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