Hameln, 17.08.2021: Wer einen Eindruck von der Propagandawirksamkeit des Reichserntedankfest auf dem Bückerberg bekommen möchte, kann hier in einem der alten NS-Propagandaheftchen schauen. Die nachfolgende beschriebene Broschüre habe ich im Antiquariat entstanden. Mit einigen Textauszügen möchte ich einen authentischen Eindruck ermöglichen, welche Bedeutung, Funktion und Wirkung die NS-Veranstaltung für das damalige System hatte. Die Sprache der Zeit sagt viel über die fanatisierte Begeisterung und dem Führerkult, der damals noch in seinen Anfängen steckte. Wie alles endete ist bekannt. Im Jahre 2021 ist zunehmend eine Wiederkehr des national(sozialistisch)en Denkens in unserer Gesellschaft zu beobachten.
Mag der Einblick in Wortwahl und Methodik von 1933 allen Mahnung sein:
Zunächst das Geleitwort des Stabschef der SA und Oberpräsident der Provinz Hannover – Viktor Lutze:
„Auf niedersächsischem Boden dankt alljährlich das deutsche Bauerntum und mit ihm das gesamte deutsche Volk für Ernte und Brot. Möge Niedersachsens Treue stets ein festes Band zwischen Volk und Führer knüpfen, um in gemeinsamen Ringen Freiheit und Brot des deutschen Volkes für die Zukunft zu sichern. Nürnberg, den 9. September 1934„
Zur Person siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Lutze
Geleitwort des Herrn Landrat Dr. Lambert, Hameln:
„Der erste Erntedanktag des Jahres 1933 – des Jahres der nationalsozialistischen Revolution – war mehr als das Symbol einer neuen politischen Willensrichtung; er war Gleichnis für den Durchbruch eines neuen Lebensgefühls, einer neuen Weltanschauung. Dieser 1. Oktober 1933 wird richtungsgebend sein für Jahrzehnte und für Jahrhundert. Deswegen soll das Heft „Rund um den Bückeberg“ die Erinnerung an den Tag wachhalten, vor allem für die Besucher der späteren Erntedanktage und diejenigen, denen äußere Umstände die Teilnahme an dem Gesamterlebnis nicht gestatten. Hameln, den 5. September 1934. SA-Oberführer und Landrat.„
Zur Person siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Lambert
Die nachfolgenden Schilderungen in dem Buch, so schreibt der Autor, als Bekenntnis auf Seite 7: „Alles Wesentliche gesammelt hatte Landrat Lambert, der mit den Getreuen seines Amtes in allen Einzelheiten die gewaltige Sinfonie des Ersten Deutschen Bauerntags erlebte. Von ihm sprang der Funke über. Ich gebe ihn weiter, das ist alles.„
Der Verfasser der Broschüre ist Fritz Müller-Partenkirchen.
Zur Person siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_M%C3%BCller-Partenkirchen
Nach Kriegsende wurden in der sowjetischen Besatzungszone die Schrift Rund um den Bückeberg (1934) auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.
Auf insgesamt 70 Seiten wird der Ablauf des Bückebergfestes, aber auch die organisatorischen und landschaftlichen Rahmenbedingungen geschildert.
Auszüge aus dem Heft im Wortlaut:
„Warum der Bückeberg? Ist er auf dem grünen Amtstisch mathematisch ausgerechnet worden? Solche Dinge lassen sich nicht berechnen. Sie erheben sich, sind, leben und treten vor wie unterirdische aufgerufene Soldaten: „Hier! die Heimat Hermann des Cheruskers! Hier! die Heimat Horst Wessels!“ – eins ums andere sich kreuzend, Schnittpunkt: Bückeberg bei Hameln.“ (Seite 13)
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„Der Bückeberg, der mit seinem Ersten Deutschen Bauerntag historisch in die Zukunft ragen wird, als ein Mahnmal: Der geschlechterlang zurückgedrängte deutsche Bauer ist endlich unterwegs zu deutscher Wertung: Ohne ihn war Deutschland unterwegs zum Abgrund – Hand in Hand mit ihm, und Deutschland sprießt, aus den Tiefen seiner Heimaterde genährt, einer frohmütigen Zukunft entgegen.“ (Seite 15)
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„Eine Zeltstadt für einhunderttausend Männer der SA und SS.= -einverstanden- her damit in diese windgeschützte Felderfalte! – vier Reihen nebeneinander angebrachte, scheinbar unregelmäßig so gestellter Fahnenstangen von 12 Meter Höhe, daß sie insgesamt ein Riesenband bilden? -ausgezeichnet! „Band“ kommt ja von „binden“. Binden und ver-binden soll sie ja, diese Riesenkundgebung auf dem Bückeberge – unterstreichen soll sie dieses Berges Grenzen und Konturen – und das Wehn und Brausen und Geräusche von 20.000 Quadratmeter Fahnentuch, ich will es gerne hören und ich will mir denken, daß ich wieder in der Wiege liege, ich, die Erde, und daß es in des Sphären über mir, wo die Gestirne aufziehn abermals erklingt vom alten Liede neuen Werdens. … “ (Seite 21)
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„Das da Licht werde, müßt ihr besorgt sein. Und siehe da, es ward Licht: Der zweite Teil des großen Staatsakts strahlte im geborgten Licht von 13 Beleuchtungstürmen und 56 Scheinwerfer-Nestern. 25000 Volt spannten sich in kilometerlangen Leitungskabeln, 14 Transformatoren sorgten für den „Umspann“. 20000 Kilowattstunden konsumierte die eine elektrische Nacht. Voran ging eine industrielle Kraftanstregung ersten Ranges: Alle verfügbaren Bestände der deutschen Kabelindustrie wurden mit einem Schlage angefordert – was mehr war – prompt geliefert. Rechtwinklig anzustrahlen waren alle Zelte der SA, alle Park-Plätze, alle Zufahrtsstraßen. …“ (Seite 22)
„… Höhepunkt des Bauerntages: Des Führers und des Landwirtschaftsministers Ansprachen. Eine Groß-Lautsprecheranlage in noch nie gewesnen Maße bediente die 4 Längsseiten und 8 Querseiten von zusammen 60 Großlautsprechern. Die ihnen kreisenden Elektrokräfte schufen aus den Führerworten Führerfunken, aus den Führersätzen Führerströme, aus dem Führersinn das Führerbrausen tief hinein in weit und willig aufgeschlossne Hörerherzen.“ (Seite 22)
…
„Dem Ruf des „Tages“ selber hatte an die 200 Sonderzüge zu folgen, die in Abständen von nur sieben Minuten einzutreffen hatten, sich entleerten und danach an 100 Kilometer Abstellgleise bis Hannover und bis Paderborn erforderten – wahrlich keine Alltagsleistung.“… „Unaufhörlich und in immer kürzeren Zeitabständen rollten Sonderzüge auf Sonderzüge heran, reihten sich Kraftwagen auf Kraftwagen auf den Zufahrtsstraßen, strömten Säulen hunderttausender deutscher Volksgenossen freudig bewegt und voll Erwartung dem einen Ziele zu, dem freund- und fest-bereiten Bückeberg.“ (Seite 23)
„Das ganze gesegnete Weser-Bergland, im Umkreis vieler Kilometer um den Bückeberg, es steht im flammenden Sonnenzeichen eines großen Festtags. Kein Dorf, kein Dörfchen, keine Stadt, kein Städtchen, die da nicht befeitgestanden hätte, bunten Fahnenglanz voll und reichen Häuserschmuckes übersäht: Den Gästen gilt´s dem Führer gilt´s – zu zeigen haben wir, wie wir empfangen können, wenn die Herzen in Erntekränzen grünen dürfen“ Ist das noch die stille Rattenfängerstadt Hameln? Hat ein Zauberer sie nächtens gegen eine Großstadt ausgewechselt, eine laute? … Was iste es, das aus einem billigen Märchenzauber eine blanke Wahrheit machte? Das gewaltige Bewußtsein, daß a diesem ersten Oktobertag die Augen Deutschlands und der ganzen Welt auf mich gerichtet sind, auf mich.“ (Seite 23/24)
„Vom Berggipfel bis zum Weserufer ungezählte Menschenmassen, musterhaft geordnet, nicht schreiend und nicht rufend – nur erwartungsfroh, des Führers harrend, gläubig und geduldig: Also deutsch. Jetzt Marschmusik, von Großlautsprechern aus das ganze Tal erfüllend. Unter ihrem Dröhnen rücken immer neue Menschenmassen an.“ (Seite 24)
„Die Spannung wächst von Minute zu Minute. Es ist 17 Uhr. Eine freudige Bewegung schwillt und ebbt und schwillt von neuen durch die Menschenmassen: Der Führer kommt!“ (Seite 26)
„Der Kanzler schreitet die Fronten ab: SA, SS, Stahlhelm, Schutzpolizei, Arbeitsdienst. Weiter der Führer betritt den Mittelweg. Mit seinem Gefolge schreitet er den Berg hinauf, schreitet, schreitet… Es will kein Ende nehmen. Wais ist Zeit? Ins Bodenlos versänke sie, teilten sie nicht die Jubelrufe, die ungeheure Begeisterungsausbrüche der Massen rhythmisch ab: Das Volk will seinen Führer, und der Führer will sein Volk. Jetzt müsste sich der Jubel legen? Er legt sich nicht. Hunderttausende von Armen recken sich zum neuen Gruß.“ (Seite 27)
„In gläubiger Verehrung und Verbundenheit kann das Volk die Augen nicht vom Führer wenden. Sie vermöchten es nicht anders, ihre Seelen haben keine Wahl – zu lange haben diese Seelen nach einem Mann gehungert, zu dem sie ohne Wenn und Aber aufblicken hätten könne. Jetzt hungern sie nicht mehr – von de Bergen hallt ein „Heil“, das nimmer endet, als der Führer die Tribüne betritt. Fanfaren künden den Beginn der eigentlichen Kundgebung. Die Artillerie ist aufgespritzt. Einundzwanzigmal rollt der Schall der Ehrenbegrüßung übers Feld. …. sprengt in gestrecktem Galopp das Reiterregiment 13 heran, formt sich zu einem Hakenkreuz, das sich um die Achse dreht und dreht. In tadelloser Ausrichtung und Gangart dreht sich das lebende Hakenkreuz schnell und immer schneller — whiff, hat sich´s plötzlich aufgelöst – rasch hat es sich normal formiert und unter der ungeheuren Begeisterung – immer wieder ist sie eine neue Steigerung fähig – reitet es im Paradegalopp vorüber, …
Wieder ein Trompetensignal. Ein aus mehreren Regimentskapellen gebildetes Musikkorps setzt ein und entblößten Hauptes mit gehobner Rechte danken 700000 Deutsch mit dem Choral „Nun danket alle Gott“ dem Schöpfer für den reichen Erntesegen – Menschen, die das miterlebten, können in der Seele niemals wieder ganz verarmen.“ (Seite 29)
Dann sprach der Führer; in den letzten Winkel des horchenden Bückeberges, in die letzte Hütte Deutschlands konnten seine Worte, durch die Technik millionenfach verstärkt, dringen, und von da in die willig und weit geöffneten Millionen Herzen. – Wie immer, wenn der Man des Volkes spricht – wie immer, wenn Bismarck zu den Deutschen sprach: Jeder hatte das Grundgefühl, jetzt eben wird der Satz geboren; kein Raum, halbgelernte Konzepte, sklavisch wortgebunden, abzulesen; hier überschneidet sich die Redlichkeit von Menschenseelen; aufgemerkt, es geht um deine Sache! Oeffne deine Seele mit, damit der Funke überspringe! Wie Hammerschläge fielen diese Sätze. Keine sorgsam aufgebauten Pyramiden von Gedanken, deren einer immer einen andren vorher, wenn nicht gerade aufgehoben, so doch fürsichtiglich früher einzuschränken pflegte, um – wenn der Karren anders lief – einen „tapfren“ Rückzug sich für alle Fälle offenzuhalten. Solchen Eiertanz verschmäht dieser Führer. Keine Nebensätze, kaum ein Komma. Und über allem eine glasklare Schlichtheit: Genau so konnte nach Feierabend ein Stanzer sprechen, oder – war er ehrlich – auch ein König im Reich der Geister: Vor einem Jahr wurde eine Ernte eingebracht – seitdem in Deutschland ein Wandel von geschichtlichen Ausmaß – gefallen ein Parteienstaat, ein Volksstaat ist entstanden – was Wunder, …“ (Seite 30)
„Von Satz zu Satz wurde des Führers Stimme eherner. Satz um Satz steigerte den Widerhall zuerst im herzen der Massen. Auf dem Weg nach Außen rührte er die Hände. Wie Trommelschlegel einer Riesentrommel prasselte es aus diesem Hände-Meer zum Abendhimmel. Noch immer schwoll und schwoll der Jubel. Endlich riß es alle Arme hoch. Das Horst-Wessel-Lied funkte um den Bückeberg und in die Lüfte. Über den Festplatz hallten die dumpfen Wirbel des großen Zapfenstreichs. Eine knappe Pause des Atemnolens und voller Inbrunst scholl das Lied der Deutschen als der Schlußakkord des großen Tages über die nächtlichen Fluren und faßte das Gewaltige Erleben in ein Gelöbnis zusammen, das sich jeder still im eigenen Herzen gab. … Dann klang alles langsam ab. Höhenfeuer leuchten als Fanal stetig weiter von den Bergen. Magisch flammten immer wieder Feuerwerke auf. Böller-Salven hallten im Wesertale wider. Die Tausende SA-Männer entzünden ihre Fackeln. Diszipliniert und wie in stählernen Gelenken knackend und klirrend treten die Hundertausende in mustergültiger Ordnung den nächtlichen Rückweg in die Heimat an. …“ (Seite 31)
Siehe auch:
https://www.dokumentation-bueckeberg.de/ns-reichserntedankfeste.html
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Streit-um-Gedenken-am-Bueckeberg,bueckeberg118.html
Abschrift/Zusammenstellung vom 17.08.2021 – Ralf Hermes
Ein Gedanke zu „NS-Broschüre: „Rund um den Bückeberg“ von 1934 – Auszüge“