„Wenn Minderheiten Meinung machen.“ Gedanken über die Zulässigkeit der Briefwahl zur Landratswahl.

Hameln, 27.07.2020 – Argumente, persönliche Bewertungen und Hintergründe zum Streit über die Zulässigkeit der Briefwahl zur Landrats-Stichwahl:

Hintergrund: In der Kreistagssitzung am 7. Juli machte sich Herr Zemlin zum politischen Wortführer zweier Einwender, die gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer ausschließlichen Briefwahl im Rahmen der Stichwahl Einspruch eingelegt hatten. Leider ist das Protokoll dieser Sitzung noch nicht veröffentlicht, so dass über den Redebeitrag des FDP-Fraktionsvorsitzenden nur die Berichte von DEWEZET als Informationsgrundlage vorliegen. Herr Zemlin bekommt in der DEWZET hohe Aufmerksamkeit. Der „Volljurist habe sich im nächtlichen Studium mit der Frage beschäftigt, ob für eine Landratswahl während einer Virus-Pandemie besondere Gesetze gelten.“ Im Bericht der DEWEZET vom 8. Juli bekommt der Politiker neben den beiden Einwendern breiten Raum, seine Kritik an der („unverschämt“ handelnden) Kreisverwaltung auszuführen. Zemlins Einwürfe hätten dann die CDU verunsichert, so dass diese eine Vertagung beantragte. Am 9. Juli kann man dann lesen, dass Hameln-Pyrmonts Wahlleiter die Vorwürfe des FDP-Mannes, er habe den Kreistag verspätet über die Einsprüche der beiden Bürger unterrichtet, als nicht richtig bewertet. Zudem bestätigte das Nds. Innenministerium die Rechtsauffassung, dass in Anbetracht der aktuellen Pandemie gerechtfertigt sei, eine reine Briefwahl anzuordnen, wenn die Wahlvorbereitung schon so weit vorangeschritten sei, dass eine Absage der Wahl nicht mehr angemessen wäre. Landeswahlleiter und Innenministerium stehen hier der von Herrn Zemlin unterstützten Rechtsthese entgegen. Nach dem Bericht der DEWEZT vom 9. Juli war eigentlich zur Rechtslage jede Position beschrieben. Am 11. Juli berichtet die DEWEZET in der Wochenzusammenfassung mit der Unterschlagzeile: „Mehrheit fühlte sich mit Entscheidung über Einspruch zur Landratswahl überfordert.“

Schauen wir jetzt einmal auf die Berichterstattung vom 24.07. und das Rechtsgutachten, dass der Herr Zemlin zu Stärkung seiner These der „unrechtmäßigen“ Briefwahl auf den Tisch legt an:

Am 24. Juli veröffentlicht die DEWEZT den Vorschlag von Herrn Zemlin, Landrat Dirk Adomat (SPD) solle zurücktreten um den Weg für Neuwahlen im Jahr 2021 freizumachen. Das, so wird der FDP-Mann zitiert wäre „sicherlich die sauberste Lösung“. Als Begründung habe der Abgeordnete ein Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages welches am 23. März 2020 veröffentlicht worden war, herangezogen. Anschließende zitiert die DEWEZT aus dem Gutachten und wiederholt die bereits berichteten Einwände der Bürger. Im Grunde enthält der fast ganzseitige Bericht bis auf den Rücktrittsvorschlag keine neuen Informationen. Er wiederholt, die bereits an anderer Stelle ausführlich erläuterten Argumente von drei Personen gegen die Durchführung der Stichwahl per Briefwahl.

Googelt man das Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes wird man schnell fündig. Das Papier ist als Download erhältlich:

Beim Lesen wird schnell klar, dass diese Gutachten die Erfordernisse einer durch eine Pandemie veränderten Wahlsituation als Rechtsgrund nicht berücksichtigen konnte. Es ist vor der Corona-Situation erstellt worden. Dennoch gibt es in dem Schreiben wichtige Hinweise:

Die Öffentlichkeit der Wahl wird hier als ungeschriebener Grundsatz betont. Es heißt aber auch: „Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bringt es die „Natur der Sache“ mit sich, dass nicht jeder der Wahlgrundsätze stets in voller Reinheit verwirklicht werden kann. Dem Gesetzgeber steht ein gewisser Ermessensspielraum bei der Umsetzung und Konkretisierung der Wahlrechtsgrundsätze zu. Differenzierungen bei der Gestaltung des konkreten Wahlrechts bedürfen zu ihrer Rechtfertigung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes.“

Es kommt also immer auf einen Abwägungsprozess an, der verhältnismäßig sein muß.

Die Corona-Pandemie stellte die Verantwortlichen im Kreis vor dem Abwägungsprozess in einem weit fortschritten Wahlverfahren die Wahl zu stoppen, oder aber auf eine reine Briefwahl umzuschwenken.

Zum Abwägungsprozess gehört zu bewerten, was eine monatelange Verschiebung der Stichwahl bedeutet hätte. Wahrscheinlich hätte es Stimmen gegeben, die bei einem zu langen Zeitverzug zwischen dem ersten Wahlgang und der Stichwahl eine Annullierung des ersten Wählervotums gefordert hätten. Welcher Zeitraum ist akzeptabel, eine Kreisverwaltung die politische Führung vorzuenthalten? Gibt es nicht auf ein Anrecht der Bürgerinnen und Bürger auf die Wahlentscheidung? Zudem ist die im Verhältnis ausgesprochen hohe Wahlbeteiligung zur Stichwahl ein klares Zeichen für eine hohe Akzeptanz der Entscheidung des Wahlleiters auf Kreisebene. Ich habe damals nicht eine kritische Stimme aus Politik oder Presse gehört, die die Entscheidung zur Briefwahl kritisiert hat. Auch Herr Zemlin räumt ein, dass er das damals gut fand.

Die Rechtsauffassung des FDP-Abgeordneten Zemlin und der beiden Bürgereinwendungen sind für mich klare Minder-/Einzelmeinungen, die medial aufgeputscht werden.

Mehr als 55.000 Menschen haben sich an der Stichwahl zur Landratswahl beteiligt. Dieses Votum soll jetzt ungültig sein, weil Einzelstimmen juristisch / theoretische Rechtsbedenken formulieren?


Nochmal:

War da nicht was mit einer bisher absolut einmaligen Ausnahmesituation (CORONA)? Gab es zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Verfahren der Briefwahl nicht absolute Zustimmung? Ist eine geklärte Landratsfrage mit einer dann handlungsfähigen Kreisspitze nicht auch ein Wert, gerade in Krisenzeiten?

Hier soll mit juristischen Winkelzügen ein für einige ungeliebtes Wahlergebnis aufgehoben werden. Für mich ist dieses Agieren durchsichtig und im Kern auch undemokratisch! Undemokratisch in dem Zusammenhang mit dem Versuch, mit juristischen Interpretationen von Einzelnen das Votum von mehr als 55.000 Menschen ungültig zu machen.

Natürlich kann jeder im Rechtsstaat seine Meinung juristisch überprüfen lassen. Ich persönlich glaube aber, dass hier eine Nische im Gesetz gesucht wird um ein von einer weit überwiegenden Mehrheit der Wähler akzeptiertes Verfahren zu diskreditieren. Ich möchte daher an die Argumentation des Wahlleiters zur Beschwerde: „zulässig aber unbegründet“ erinnern. Siehe:


Zur Erinnerung:

Die Aufmerksamkeit, die die DEWEZET derzeit auf den Fraktionsvorsitzenden der FDP-Kreistagsfraktion Herrn Zemlin richtet, hat System. Erinnern wir uns: Noch am Wahlabend hat der stellvertretende Chefredakteur der DEWEZET Herr Thimm den frisch gewählten Landrat Dirk Adomat den Fehdehandschuh vor die Füße geworfen. Am Tag darauf der erste massiv abwertende Bericht über den Landrat durch Herrn Killmann. In den folgenden Wochen reihten sich stark kritische Berichte gegen den Landkreis oder den Landrat wie eine Perlenreihe auf der Zeitungsschnur. Zur Stabsstelle Ehrenamt oder zum Abbruch der Kreistagssitzung habe ich eigene Bewertungen hier im Boten veröffentlicht.

Es verwundert daher nicht, dass man in der Zeitung am Folgetag (25.07.2020) lesen kann, dass sich der Landrat gegenüber der Zeitung nur über seine Pressestelle äußert. Die SPD-Fraktion hat eine eigene Presseerklärung herausgegeben. Hier übernimmt die DEWZET die emotionalen Spitzen als Aufmacher. Noch einmal bekommt Herr Zemlin das Forum der Zeitung, seine Rechtsthesen darzustellen. Anschließend kommt dann Herr Vetter zu Wort. Der erste Kreisrat begründet dann, warum die generalisierende Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirates nicht auf den Ausnahmefall in Hameln in der Pandemiephase anzuwenden ist.

#dewezetkorrektiv


Radio Aktiv hat gleichfalls über den Vorfall berichtet. Hier der Sendebeitrag:

Artikel als PDF:

Ralf Hermes, 27.07.2020

5 Gedanken zu „„Wenn Minderheiten Meinung machen.“ Gedanken über die Zulässigkeit der Briefwahl zur Landratswahl.“

  1. Glaubt die FDP ernsthaft, dass ihr das nächstes Jahr bei der Kommunalwahl mehr Stimmen bringen wird? Ich bezweifle es sehr…

  2. Zitat Gutachten: „Dem Gesetzgeber steht ein gewisser Ermessensspielraum bei der Umsetzung und Konkretisierung der Wahlrechtsgrundsätze zu.“

    Ihre Anmerkung dazu:“ Die Corona-Pandemie stellte die Verantwortlichen im Kreis vor dem Abwägungsprozess in einem weit fortschritten Wahlverfahren die Wahl zu stoppen, oder aber auf eine reine Briefwahl umzuschwenken.“

    In Ihren Gedanken haben Sie eines nicht beachtet: Die Verwaltung ist nicht der Gesetzgeber. Das ist der Landtag. Behörden gehören zur ausführenden Gewalt und dürfen Gesetze nicht verbiegen. Grundlagen der Demokratie. Der Kreis hätte die Regierung bitten müssen, eine gesetzliche Regelung zu finden – so in Bayern geschehen. In deren Gesetz stand auch noch, dass die Wahl im März stattfinden musste. Und die haben es trotzdem geschafft.

    Ihr Bericht ist tendenziös und fehlerhaft. Entspricht das etwa Ihren Ansprüchen als „Götterbote“?

  3. Sehr geehrter Herr Hamter, danke für ihren Kommentar, er zeigt sehr gut die verschiedenen Betrachtungsebenen. Schaut man formaljuristisch, dann ist ihre Sichtweise nachvollziehbar. Mein Blick war in der Tat „von oben aufs große Ganze“. Die Entscheidung, in der konkreten Situation die Stichwahl als Briefwahl durchzuführen war für mich richtig. Die verhältnismäßig hohe Wahlbeteiligung zeigt m.E. auch die Akzeptanz der Bevölkerung. Es muß nicht gleich ein Fehler sein, einen Sachverhalt aus einer anderen Richtung zu betrachten. Das mein Bericht „von einer [weltanschaulichen, politischen] Tendenz beeinflusst; nicht objektiv“ ist, räume ich gerne ein. Es ist ein „Meinungsbericht“ ich denke das ist auch für alle klar erkennbar.

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