Hameln, 19.12.2021: Viele (mich eingeschlossen) haben den Begriff „Linsingen-Kaserne bisher ziemlich gedankenlos als Ortsbezeichnung benutzt. Es ist absolut erschreckend was man erfährt, welche Geschichten und welches Gedankengut sich dahinter verbirgt.
Hier ein Rückblick in das Jahr 1938 in Hameln, als die Kaserne benannt und bezogen wurde.
Zur Person Alexander von Linsingen im DEWEZET-Bericht vom 26.03.1938:
Am 26. März 1938 vermeldet die DEWEZET im Beitrag
„Linsingen-Kaserne / Das II./IR. 74 bezieht morgen seine neuen Unterkünftsräume“:
„Laut Verfügung des Oberkommandos des Heeres erhält die neue Kaserne des II. Batls. I.-R. 74 den Namen „Linsingen-Kaserne“, um das Andenken des in Krieg und Frieden hochverdienten Generals und Chefs der alten 74er lebendig zu erhalten. Es folgt hierunter eine Lebensbeschreibung des Generals von Linsingen, der ein Sohn…„
Hier nur einige Zitate:
„Sein Name verknüpft sich für alle Zeiten mit den schwersten, aber auch erfolgreichen Kämpfen in Eis und Schnee in den Karpathen. …Für seine hervorragenden Taten wird er mit dem höchsten preußischen Kriegsorden, dem „pour le merite“, und in Anerkennung der erfolgreichen Führung der Bugarmee mit dem Eichenlaub dazu ausgezeichnet.„
„Das tragische Schicksal, das im November 1918 (Anmerkung: gemeint ist die Revolution und die neue Staatsform Republik) über Deutschland hereinbrach, hat Generaloberst von Linsingen in seiner schwierigen Stellung in Berlin besonders nahe getroffen. Die auf seine Veranlassung nach Berlin zum Niederschlagen des Aufruhrs beorderten Fronttruppen wurden auf höheren Befehl zurückgehalten. Im November 1918 nahm Generaloberst von Linsingen den Abschied…“
Zum zeitgeschichtlichen Kontext der Zeitungsausgabe: Auf der Titelseite der DEWEZET verkündet Adolf Hitler die Kampfparolen. Ein „Infantrie-Bilderbogen illustriert die Lokalseite. Dazu ein Bild von Glauleiterstellvertreter Schmalz bei der Wimpelweihe.
14 Tage davor, in der DEWEZET-Ausgabe vom 12. März 1938 wurde die Geschichte des Regimentes, welches die Kaserne beziehen sollte, dargestellt:
„Die 74er – ein ruhmreiches Regiment. Bei Leonowka-Kisielin 1916 der unbesiegten russischen „eisernen Division“ überlegen. Von den Heldentaten und den Opfern des Regiments im Weltkriege“
Auszüge:
- begann am 4. August der Vormarsch auf Lüttich. Dort erhielt das Regiment die Feuertaufe, wobei auch der Regimentskommandeur Oberst Prinz Friedrich Wilhelm zur Lippe fiel.
- und verlor im August den zweiten Regimentskommandeur Oberst v. During. Schmerzliche Verluste brachten die drei Schlachttage…
- 3 Kriegsmonate 1914 brachten eine Einbuße im Regiment von über 2.200 Mann.
- Der Ostfeldzug 1915 war … die Verluste betrugen 82 Offiziere und über 1.700 Unteroffiziere und Mannschaften
- so wurde das Regiment südlich von Somme eingesetzt und verlor dabei 124 Tote und 350 Verwundete.
- Mitte Oktober bezog das Regiment eine „Ruhestellung“ am Chemin des Dames, … Das Regiment beklagte 38 Tote und 127 Verwendete.
- 1916 … brauchte die Ostfront Hilfe. … Die Tage brachten uns an Toten: 8 Offiziere und 211 Unteroffiziere und Mannschaften.
- Bis zum 5. November blieb das Regiment in Wolhhnien… Die Gesamtverluste diese Sommers im Osten betrugen 378 Tote und 1274 Verwundete.
- Februar 1917 bei Ripont… Als am 7. März das Regiment diese Kampfstelle verließ, beklagte es 45 Tote und 163 Verwundete.
- Anschließend… Stellungen vor Reims. … begnügte sich der Feind .. mit starker Artillerietätigkeit, so daß bei der Ablösung am 27. Mai 34 Tote im Kampfgebiet blieben.
- Champagne, zum Hochberg. …Heeresbericht vom 7. Juli 1917 … Schmerzlich waren die großen Verluste: Die Gefechtsstärke verminderte sich um 694 Köpfe.
- … blutete das Regiment von September 1917 bis Januar 1918 vor Verdun. .. blieben über 60 Tote.
- … „Große Schlacht in Frankreich“ …Wieder hatte das Regiment einen Abgang von 946 Köpfen.
- Die alte Kampfkraft bewährte sich dann in der Schlacht bei Rohon (1.bis 13.6.1918). …Im Verhältnis zu dem kurzen Einsatz sind die Verluste sehr groß: 552 Mann.
- Dann begann in den Augusttagen 1918 der Endkampf. …
- Die Ehrentafel des 1. Hannoverschen Infanterie-Regiments 74 nennt 107 Offiziere, 330 Unteroffiziere und 2595 Mannschaften, die in Erfüllung ihres Fahneneides fielen. Die Zahl der Verwundeten übersteigt die Ziffer der Gefallenen beträchtlich; hoch ist auch die Zahl der der während des Feldzuges durch schwere Erkrankung und Überanstrengung ausgeschiedenen Angehörigen des Feldregiments. Besonders sei auch an die Kameraden gedacht, die ihr Augenlicht, Gehör oder Glieder ihres Körpers verloren haben oder durch Krankheit langem Siechtum verfallen sind.
Generaloberst v. Linsingen, Chef des Regiments, widmete den 74ern folgende Worte: „Die Geschichte des 1. Hannoverschen Infanterie-Regiments Nr. 74 ist ein Denkmal für die auf dem Felde der Ehre in treuer Pflichterfüllung Gefallenen; ein Denkmal, wie es schöner den Gefallenen und der Nachwelt nicht gesetzt werden kann. Möge die Geschichte des Regiments aber auch allen Angehörigen und Freunden auf das Neue verkünden, was das Regiment eingedenk seiner ruhmreichen Tradition im Weltkriege für Kaiser und Reich geleistet hat, und mögen kommende Geschlechter sich an den Taten des Regiments zur höchsten Pflichterfüllung begeistern.“
Wie viele französische, britische oder russische Soldaten oder Zivilisten durch das Regiment zu Tode kamen, ist nicht genannt.
In der selben Ausgabe der Zeitung wurde dann noch folgendes Heldengedenken veröffentlicht.
„Aus Heldengräbern grünt die neue Zeit!“
1938 – welche Zeit folgte, wissen wir heute.
2021 – woran wollen wir erinnern und anknüpfen?
Zusammenstellung: Ralf Hermes, 19.12.2021
Siehe auch:
2 Gedanken zu „Der „Geist“ der Linsingen-Kaserne: DEWEZET 1938“