Hameln, 19.07.2025: Eine Fortsetzung der Jugenderinnerungen von Günter Bialkowski diesmal mit einer Schlüsselentscheidung für einen neuem Beruf zur Zeit der Bergwerkskrise. Es geht aufwärts:
Wir schreiben das Jahr 1967 – ich war inzwischen 30 Jahre jung und hatte mit meiner Inge einen Weg gefunden, wie wir uns der ungewissen Zukunft stellen wollten. Die Neuhüller Str. in Hüllen war nun unsere Adresse und der Kontakt zur evangelischen Luther-Kirchengemeinde und zu Pastor Born war perfekt. Wir gingen häufig zum sonntäglichen Gottesdienst, denn nach meiner Konversion zur evangelischen Kirche, die ich noch in Ückendorf mit Pastor Reitze vollzogen hatte, war dies nun mein näheres Umfeld wo ich mich als evang. Mitglied einleben konnte. Es war an einem Sonntag nach dem Kirchgang als mich Hr. Born ansprach. Auch ihm war durch Presse und Rundfunk die prekäre Lage der Bergleute nicht verborgen geblieben. Und so machte er mich auf das Katechetische Seminar in Bochum aufmerksam. Dieses Seminar war aus der Evang. Fachhochschule für Sozialarbeit hervorgegangen. Es bildete in sechs Semestern Interessierte zu Religionslehren und Gemeindedienst aus. Und er fragte mich „…wäre das nicht was für Sie Hr. Bialkowski?“ Von diesem Tag an, war das in unserer kleinen Familie Thema. Ich rang mit mir, denn meine schlechten schulischen Leistungen, infolge Kriegs und Nachkriegszeit, waren nun in der beginnenden Wettbewerbsgesellschaft von Angebot und Nachfrage ganz allein mein persönliches Problem!
Das machte sich die CDU geführte Bundesregierung zu einfach, es brodelte in mir, ich fand das ungerecht. Viele schauten hier im Ruhrgebiet mit Sorge auf die Vertriebenen Verbände, die von der Bonner Regierung weit besser behandelt wurden. Sie bekamen für ihre materiellen und immateriellen Kriegsverluste alles genehmigt. Millionen DM Steuergelder flossen. Und wir, die verlorenen Kinder des NS-Regimes mussten in die Röhre gucken. Als ich mich politisch umsah und das tat ich immer häufiger, konnte ich noch andere Ungerechtigkeiten finden. Viele Nazis durften einfach weiter machen, wie bisher. Die wahren Opfer, es gab neben den überlebenden Juden noch viele andere. Sie alle wollten Gerechtigkeit, Anerkennung ihrer Rechtsansprüche. Sie wurden von Behörden und Rechtsprechung viel zu häufig abgewiesen. Die neuen Spitzen der Gesellschaft schickten sich gerade an ihre Karrieren aufzubauen, darunter auch viele Ärzte und Mediziner, nicht wenige von ihnen kamen mit Notabitur und verkürztem Studium in ihre lukrativen Positionen. Auch hier fand man großzügige Lösungen. Nur meine / unsere schlechten Startchancen wollte niemand sehen, geschweige, entschädigen.
Und so nahm ich Kontakt mit Pastor Blätgen, dem Direktor des Seminars in Bochum auf. Die Zustimmung meiner Inge hatte ich, mein Mut ist dadurch merklich gewachsen. Einmal angestoßen nahmen die Dinge ihren Lauf und mein / unser Schicksal nahm eine Wende. Ich kündigte auf eigenen Wunsch bei der Werksbahn Alma, wollte nicht länger warten bis man uns alle kündigte, holte die Mittlere Reife nach und begann meinen Studiengang. So fuhr ich drei lange Jahre jeden Tag mit der Bogestra Linie 2 nach Bochum. Nebenbei lernte ich interessante Menschen kennen. 1970 war ich fertig und bekam vom Seminar und von Mund zu Mund Stellenangebote. Meine Wahl viel auf Sennestadt bei Bielefeld, die Gemeinde war damals noch selbständig. Als Jugendsekretär der Kirchengemeinde konnte ich hier meine ersten Erfahrungen und Erfolge machen. Von da an ging es Schlag auf Schlag, mit meiner Ausbildung war ich plötzlich für mehrere soziale Arbeitsfelder interessant. Unsere kleine Welt zuhause wurde bunter, unsere Wohnungen schöner! Und so wurde alsbald Osnabrück, danach Werdohl im Sauerland unser Ziel. Mit jedem Stellenwechsel stieg auch das Familien-Einkommen, darüber freute sich wiederum meine Inge sehr. Sie hatte inzwischen entbunden, von nun an waren wir zu viert, der kleine Lars Peter war im Moment die Nummer eins.
In Osnabrück wie auch in Werdohl nahm ich meinen Dienst als Stadtjugendpfleger mit Freude auf. Endlich konnte ich gemäß meinen Vorstellungen arbeiten. Und ich hatte Vorstellungen. Mein eigener Werdegang verpflichtete mich vor allem für die ärmeren Jugendlichen, denen die nicht so sehr im Licht standen ein Programm anzubieten. Und ich glaube auch einige Akzente setzen zu können. Da die Städte damals noch Geld hatten, konnten wir neben dem freien Tourismus auch von der Stadtjugendpflege ein gewisses Fahrtenangebot offerieren. Und ich erinnere mich, die Fahrten waren immer schnell vergriffen. Ich organisierte Berlinfahrten, damals noch eine geteilte Stadt, Vakanzi-Fahrten nach Holland, Amsterdam, Ijsselmeer bis nach Terschelling und in die andere Richtung nach Rumänien, Costiness ans Schwarze Meer. So habe ich Verantwortung tragen gelernt, aber auch selber viel gesehen und erlebt. Costiness war damals ein internationaler Jugendtreff. Hauptanliegen: Kontaktpflege zwischen der deutschen Jugend aus der DDR und unserer westdeutschen Jugend in Zeiten des Kalten Krieges.
Diese Fahrten wurden auch vom Bundesland NRW mitfinanziert. Rückblickend denke ich gerne an diese Zeit, irgendwie wurde man zum „Manager“ auf Stadtebene. Aber mein Interesse reichte weiter, mein biologisches Alter gab mir Zeichen. Ich erkannte, dass mir die Nähe zu Jugendlichen langsam verloren ging. Und so liebäugelte ich schon länger mit einem Job in der Altenarbeit. Zunächst etwas diffus, doch dann wurde es konkret. Ich nahm mit Baden-Württemberg Kontakt auf und alsbald ergab sich eine weiterreichende Perspektive für mich und meine Familie. Und wie es hier weiter ging beantworte ich das nächste Mal.
Günter Bialkowski
Vorheriger Bericht:
herral, 19.07.2025